02/07/2024 0 Kommentare
2. Sonntag nach Trinitatis: 1 Kor 14,1-3.20-25
2. Sonntag nach Trinitatis: 1 Kor 14,1-3.20-25
# Archiv Predigten 2018
2. Sonntag nach Trinitatis: 1 Kor 14,1-3.20-25
Liebe Gemeinde,
manchmal glaube ich, für die allermeisten Menschen reden wir in der Kirche und im Gottesdienst "in Zungen". Nicht in dem Sinne, von dem Paulus spricht. Die Zungenrede, die Glossolalie, ist eine der Geistesgaben Gottes, die er aufzählt im Korintherbrief. Aber eine, wie er auch hier sagt, die nicht nach außen wirkt, sondern nach innen, ganz nach innen. In der Zungenrede geht es um einen ganz persönlichen Ausdruck der Frömmigkeit, eine ganz eigene Art des Betens, ekstatisch, charismatisch, für Außenstehende unverständlich und auf den ersten Blick – und uns Norddeutsche und unser Temperament noch einmal mehr- etwas "Komisches": das ist so persönlich, dass es kein anderer von außen verstehen kann und verstehen muss. Und es bleibt fremd, wenn es einem nicht selbst widerfährt. In Korinth gab es viele solcher Zungenredner, die sich auch noch einiges darauf einbildeten und sich- so begabt- für etwas Besseres hielten. Das ist der historische Hintergrund des Streites, in den Paulus hier mit diesem Brief hineinspricht.
Manchmal glaube ich, für die allermeisten Menschen reden wir im Gottesdienst "in Zungen". Weil es schwer ist, sich im Allerheiligsten unseres Glaubens zurecht zu finden, wenn man mit seiner Architektur nicht vertraut ist, wenn man die Fremdartigkeit unserer Liturgie nicht lieben gelernt hat, die Sprache nicht versteht, die Bilder und durchaus die fremden Worte nicht zu einem sprechen. Und es braucht manchmal eine lange Einübung und Erfahrung damit, um sie lieben zu lernen und wert zu schätzen. Und Unterricht. Deshalb versuchen wir es mit Euch Konfirmanden auch immer wieder, Euch dieses Herzstück unseres Glaubens nahe zu bringen.
"Wenn nun Unkundige oder Ungläubige hineinkommen würden in unsere Gottesdienste, würden sie nicht sagen, ihr seid von Sinnen?", fragt Paulus und spricht damit gelassen ein aktuelles und ein brisantes Thema an: die Frage danach, ob wir mit dem, was uns heilig ist, mit dem, was uns unbedingt angeht, verständlich sind für die, die nicht ohnehin zum festen Kern gehören und sich hier auskennen wie in ihrer Westentasche. Sind wir nicht in gewissem Sinne ein komischer Club, treffen uns zu einer von vielen für viele bunte andere Sachen begehrten Stunde am Sonntag Morgen? Braucht es nicht Mut, sich dazu zu bekennen, Sonntags in die Kirche zu gehen, den Gottesdienstbesuch als etwas Wichtiges zu beschreiben und dazu zu stehen vor Menschen, denen das komplett fremd ist und schwer nachvollziehbar?
Der Gottesdienstbesuch in Blankenese ist ja – verglichen mit vielen anderen Gemeinden- sehr gut und ich kann Ihnen sagen, es ist eine große Freude, mit so vielen Menschen Gottesdienst feiern zu können, zu singen, zu beten, das Abendmahl zu teilen. Und es ist nicht mehr selbstverständlich.
"Es ist nicht glaubensfördernd, mit zehn oder zwölf anderen Gottesdienst zu feiern" hat eine Kollegin mal humorvoll versucht, eine Situation zu beschreiben, die an manchen Orten unserer Kirche längst Alltag ist... und eine Herausforderung ganz eigener Art.
Trotzdem stellt sich diese Frage auch für uns. Wie erreichen wir Menschen mit dem, was unser Zentrum ist? Die, die kommen und auch die, die bisher gar keinen Zugang dazu gefunden haben? Wie geht das ?
Nicht selten kommen Menschen z.B. während des FaGo in die Kirche (weil sie vermuten, um 11.30 Uhr müsste der Gottesdienst doch nun wohl vorbei und die Kirche wieder für Besichtigungen offen sein, nehme ich an). Sie treten ein, sind erstaunt, dass da etwas stattfindet und setzen sich verstohlen in die hintersten Bänke. Sie schauen neugierig und ein bisschen vorsichtig zu, bleiben eine Weile, lassen sich auf keinen Fall nach vorn locken, wollen nicht mitsingen, brauchen keine Gesangbücher... und gehen wieder, oft, bevor der FaGo zu Ende ist. Was denken sie , frage ich mich manchmal? Was kommt bei Ihnen an? Was würde sie zum Bleiben einladen, dazu, näher zu treten? Was bräuchte es, damit sie vom "Besichtigungsmodus beim Sonntagsausflug" aussteigen und in unsere Gemeinschaft einsteigen, wie verhalten, wie vorsichtig auch immer? Was suchen sie in der Kirche, die ja hier bei uns so oft offen ist und immer von vielen Menschen aufgesucht wird? Am Wochenende immer noch einmal von anderen Menschen als unter der Woche. Unsere Kirche ist ein echter Schatz, den Menschen dankbar annehmen. Und viele davon kommen, obwohl sie das genau so sagen könnten, trotzdem nie in unsere Gottesdienste.
Ich vermute, denen, die hier regelmäßig einkehren und auch denen, die hier zufällig Vorbeischneien bleibt, was wir hier feiern, fremd. Ich vermute und weiß es aus manchen Gesprächen, dass ihr Konfirmanden hier auch nicht die Sternstunde der Woche sucht und findet, sondern ihn oft auch als Teil der "To do-Liste" im Konfirmandenunterricht versteht. Gehört halt dazu, geht auch vorbei. Ohne dass Ihr ihn deshalb schlecht finden müsst oder unterirdisch. Nur Begeisterung, nur Heimatgefühl, nur "das darf ich auf keinen Fall nicht verpassen, da schlägt mein Herz", das sieht sicher für die meisten von Euch anders aus. Und das ist jetzt der Punkt, wo Paulus sagen würde: Halt. Wenn das so ist, dann müsst ihr etwas ändern. Dann redet Ihr ja wie in Zungen, vor allem für Euch selbst. Dann lernt das prophetische Reden, dann bringt Gott und sein Wort zu den Menschen. So, dass sie es hören, so dass sie es verstehen. So, dass sie merken, sie sind gemeint.
Denn egal, wie die Form im Einzelnen aussieht, egal, wann und wo ihr feiert: Im Zentrum geht es und muss es um etwas Echtes gehen, um etwas, das mit mir zu tun hat. Um Liebe. Um Erbauung, um Ermahnung, um Trost, sagt Paulus. Wenn es Gottesdienst ist, wie Jesus ihn uns gezeigt hat. Nicht nur als schöne Worte – wobei bei ihm auch viele Worte schön waren -, sondern als Erfahrung, als Sehnsucht, als gemeinsame Aufgabe.
Es muss um jeden Einzelnen gehen unter uns. Und zwar so, dass es jeden unter uns angeht. Es darf kein Museum sein, keine Veranstaltung, der man halt beiwohnt.
Es muss um uns gehen, jeden Einzelnen unter uns, Dich, mich, uns gehen, wenn Du kommst. Um Dein Leben. Um das, was Du dazu brauchst, um es zu bestehen, zu feiern, zu lieben. Du musst vorkommen, mit Deinen Fragen und Deinen Antwortversuchen. Mit deinen Fehlern und Deinem Fehlen, mit deinem Bemühen, es gut zu machen und immer wieder neu zu versuchen, dieses Leben, das Auskommen mit Dir selbst und mit anderen. Es muss um Beziehung gehen, weil wir nicht dazu gemacht sind, für uns allein zu sein – strebt nach der Liebe! Es muss um Begegnung gehen, mit Dir selbst, mit dem anderen an Deiner Seite, selbst mit dem, der Dir ungewollt in den Weg gestellt sind, und manchmal scheinbar als Hindernis. Sie alle müssen vorkommen. Damit Du Dich verstehen kannst als gewollt und gebraucht und geliebt. Als Kind desselben Vaters im Himmel, zusammen mit allen anderen. Das, was uns versprochen ist, gilt es immer wieder zu erinnern und zu feiern. So, dass es uns berührt und erreicht. Und das, was uns aufgegeben ist, gilt es immer wieder miteinander durchzubuchstabieren und gemeinsam mit Leben zu erfüllen. Das alte Buch, die alte Tradition zu übersetzen in das Heute. Und das sieht anders aus, wenn Du 13 bist und Angst hast, dass deine Eltern sich trennen als wenn Du 31 bist und Dein erstes Kind in den Armen hältst. Wenn Du 65 bist und mit einem Tod leben lernen musst, der dir den Boden unter den Füßen wegreißt, geht es für Dich gerade um anderes, als wenn Du gerade die Liebe deines Lebens gefunden hast oder dich fragst, wozu Du eigentlich auf dieser Erde bist. So oder so, ich glaube, Glaube muss persönlich werden, wenn er für Menschen etwas bedeuten soll. Egal, wie die Form im Einzelnen aussieht. Das ist eine Frage des Geschmacks, nicht weniger, aber auch nicht mehr.
Deshalb sind bei den sogenannten Amtshandlungen, also die Gottesdienste bei Taufe, Trauung und Beerdigung auch nach wie vor – trotz aller Kirchenmüdigkeit und allem Fremdeln mit der Institution – gefragt. Weil Menschen da etwas davon spüren, in ihre ganz persönliche Situation hinein ein Wort hören, das sie sich nicht selber sagen können, um einen Segen bitten, den sie sich nicht selber geben können aber brauchen, um die Kraft eines anderen bitten, wo ihre Kraft am Ende ist. Deshalb sind Gottesdienste wichtig, in denen genau das passiert, genau das gefeiert wird und geteilt miteinander.
Deshalb halte ich es auch für wichtig im Glauben, dass man Menschen hat, mit denen man dieses Durchbuchstabieren immer wieder neu versuchen kann. Ganz konkret, ganz genau für meine Situation.
Deshalb halte ich es auch für wichtig, dass man in der Gemeinde Menschen finden kann, mit denen man sich über die Verbundenheit in Gottesdienst und Gemeindeleben hinaus persönlich verbunden weiß. Denen man vertraut und sehr vertrauensvoll genau diese Dinge besprechen kann, die in einem brennen.
Wir werden im Herbst anfangen mit einem neuen Glaubenskurs, in dem wir zusammen mit den monatlichen Treffen zugleich solche kleinen persönlichen Netzwerken aufbauen wollen, in denen genau dies, wovon Paulus hier spricht, erfahrbar wird. Dass wir einander zu Propheten werden. Nicht zu Wahrsagern! Das waren sie nämlich genau nicht, die Propheten. Sondern zu solchen, die Gottes Wort weitersagen. So, dass es gehört wird. So, dass es verstanden wird. Prophetisches Wort hineingesagt in die konkrete Situation: "Fürchte dich nicht!" "Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig!". Und genau so: "Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was Gott bei Dir sucht: nämlich Gottes Wort halten und liebe üben und aufmerksam mitgehen mit deinem Gott!"
Wir wissen es längst, was gut ist und was Gott bei uns sucht. Wir wissen es und tun es trotzdem so oft nicht. Manchmal ist es wichtig, uns gegenseitig sehr ehrlich und sehr offensiv daran zu erinnern und einander zu Propheten dieses Gottes zu werden, die einander zurechtbringen, auf den Weg helfen, ihnen etwas zumuten, das durchaus Schwarzbrot sein kann, dafür aber sättigt und den Weg gehen hilft.
Und manchmal ist es wichtiger, einander zu trösten, zuzuhören, zu verstehen, zu segnen. Um unseretwillen und um Gottes Willen, und dann liebevoll, authentisch und getrost. Wir sollen uns gegenseitig in Dienst nehmen lassen von Gott, darum geht es. Für einander und für diese Welt, die das Wort Gottes braucht, persönlich, authentisch, verständlich, nicht in Zungen. So, dass ich es hören kann.
So, dass ich es verstehen kann. So, dass ich mich gesehen fühle und gemeint. So, dass ich mir etwas sagen lasse, weil ich weiß, es stimmt, selbst wenn ich es nicht gern höre.
Und mich daran orientiere, ggf. umkehre und es neu versuche. Weil ich spüren: Das ist Geist von seinem Geist und eine Gabe Gottes. Und er ist mitten unter uns. Amen.
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