Predigt am 2. Weihnachtsfeiertag: Offb 7, 9-17

Predigt am 2. Weihnachtsfeiertag: Offb 7, 9-17

Predigt am 2. Weihnachtsfeiertag: Offb 7, 9-17

# Archiv Predigten 2017

Predigt am 2. Weihnachtsfeiertag: Offb 7, 9-17

Liebe Gemeinde,

als ich mich hier in Blankenese vorgestellt habe mit einem Gottesdienst und dem anschließenden Gespräch im Gemeindehaus, da bin ich gefragt worden, warum ich ausgerechnet die eine Strophe von dem Adventslied, das ich ausgesucht hatte, nicht habe singen lassen. Ich wusste nicht, worauf diese Frage abzielte und habe wahrheitsgemäß gesagt: "Ich singe einfach gern, aber mehr als fünf Strophen waren mir jetzt doch zu viel für einen Vorstellungsgottesdienst. Da musste ich auswählen."

"Genau", sagte die Frau damals, "das dachte ich mir schon! Warum haben Sie ausgerechnet die Strophe ausgelassen, die davon singt, dass Jesus Christus auf dem Thron Gottes sitzt? Haben Sie ein Problem damit? Glauben Sie nicht, dass er unser Herr ist?"

Ich war echt perplex. Denn es hatte viele Gründe gegeben, andere Strophen dieser vorzuziehen, dieser explizite war es nicht. "Jetzt sagen Sie doch mal", fuhr sie fort, "glauben Sie, dass Jesus Christus, der Sohn Gottes, auf dem Thron sitzt? Dass er unser König ist?" Mein Mann sagte danach, da hätte ich mich ja gut rausgeredet anschließend.

Das finde ich noch immer nicht. Ich habe sinngemäß geantwortet, dass das nicht meine Worte wären. Dass das Bilder von Gott und auch von Jesus Christus seien, die mir eher fremd wären und doch ihre eigene Wahrheit und Schönheit haben. Die Rede vom Thron Gottes und davon, dass Jesus Christus als König und Weltenrichter auf dem Thron Gottes sitzt zum Beispiel, sagt mir persönlich gar nichts in diesem pompösen Bild. So würde ich nicht von Jesus Christus reden. Das wären nicht meine Bilder, dass er herrscht, regiert, richtet. Obwohl er es sicher tut, für mich eben ganz anders als herkömmliche Richter, ganz anders als die Herrscher, die man so kennen kann in dieser Welt, ganz anders als die Regenten, die hier bei uns so regieren. Und darum würde ich auch andere Bilder wählen und nicht dieselbe Inszenierung sozusagen. Die Frage allerdings, ob er eine absolute Kraft und Macht in meinem Leben ist, die habe ich damals und die würde ich auch heute bejahen. Ich habe damals davon erzählt und ich würde auch heute von den unzähligen eigenen und gehörten Erfahrungen anderer Menschen mit dieser Kraft erzählen. Davon, dass sie mir manche Türen aufgemacht hat, die nach hiesigen Maßstäben nicht mehr zu öffnen gewesen sind, ja, davon könnte ich etwas erzählen. Davon, dass diese Wahrheit größer ist als ich und mir mein Maß setzt, ja, das glaube ich. Dass ich mich vor ihr zu verantworten habe, auch. Ich weiß nicht, ob ihr meine Antwort gereicht hat damals, sie hat jedenfalls nicht weiter gefragt.

Der Predigttext für heute hat viele solcher Bilder, die auf den ersten und manchmal auch auf den zweiten und dritten Blick sehr fremd wirken. Sie hören sich nicht von ungefähr an wie aus einer ganz anderen Welt und doch versucht sein Autor, sie in Worte zu bannen, die aus dieser Welt stammen. Der Predigttext stammt aus dem letzten Buch der Bibel, der Offenbarung des Johannes. Diese ist ja in weiten Teilen ein schwieriges, schwer zu ergründendes Buch, ein Buch mit sieben Siegeln sozusagen. Dabei hat es zwei Blickrichtungen, zwischen denen es immer wieder hin- und her wandert: das diesseits, diese Welt, wie sie ist und das jenseits, das, was dahinter ist, die Überbelichtung des Bildes sozusagen, der doppelte Boden, wie immer Sie es nennen wollen. Die Offenbarung des Johannes beschreibt in meist sehr düsteren Bildern Not, Krieg und Verfolgung, die Klage der Unterdrückten und die Arroganz der Mächtigen. Geboren aus den Erfahrungen der damaligen Zeit. Genau so gut hätten sie aus den Erfahrungen der heutigen Zeit stammen können. Diese Welt ist noch immer kein heiler Ort. Not, Krieg und Verfolgung, die Klage der Unterdrückten und die Arroganz der Mächtigen sind auch heute noch auf der Agenda dieser Welt. Und mitten hinein in diese Szenarien sucht die Offenbarung den Himmel ab und beleuchtet den Ort, an dem Gott und sein Christus sind. Und den Ort, an dem sie – trotz allem, was wir hier auf Erden erleben können - dennoch letztendlich "regieren". Und so wandert der Blick dieses Textes immer wieder hin und her zwischen den Nöten und Katastrophen dieser Welt und dem "Anderland", wo die Herkunft und die Heimat unserer Seele liegt und wo unser Leben aufgehoben ist, geerdet und gehimmelt sozusagen in eins. Die Offenbarung bespielt diese beiden Wirklichkeiten und zeichnet Gott in sie ein.

In der Adventszeit haben wir gesungen: "O Heiland, reiß die Himmel auf!". Die verzweifelte Sehnsucht, dass Gott seinen Himmel für uns öffnet und Leben, das unerträglich ist, ändert, heilt, was verletzt ist, versöhnt, was im Streit liegt. Wir haben darum gebetet, dass das, was unüberwindbar scheint, von ihm selbst überwunden wird.

Und an Weihnachten geschieht genau das. Gott nimmt es selbst in die Hand. Gott kommt auf diese Welt, mitten hinein in alles, was hier spielt. In seinem Sohn verbinden sich Himmel und Erde, Gott und Welt. "Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns!", sagt Johannes. Gott selber zieht ein in unsere Welt, damit wir wie die Engelschöre singen lernen: "Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden!"

Dass Gott nicht nur im Himmel sondern mitten unter uns lebt - "What if God was one of us?" - dieser uralte Traum der Menschen wird Wirklichkeit. Und Weihnachten feiern wir es.

Beim Konzil in Ephesus (431) wird Maria der Titel "Gottesgebärerin" zuerkannt, nach heftigem Streit, bekämpft geradezu von vielen. Kann doch nicht sein, dass Gott durch eine Frau, einen Mensch zur Welt kommt. Eigentlich ging es bei diesem Streit um die Frage: Kann Gott, kann das Göttliche im Menschen geboren werden? Oder bleiben Göttliches und Menschliches, Himmel und Erde, letztlich doch getrennt?

Nein, gerade nicht, hat das Konzil – wie ich finde - weise geantwortet in dem Bekenntnis. Das ist doch gerade das Paradox, das Geheimnis unseres Glaubens, dass Gott wirklich in die Welt gekommen ist, dass das Wort Fleisch und Blut angenommen hat und unter uns wohnt, dass Gott und seine Welt eben nicht mehr auseinanderzudividieren sind seit Weihnachten, dass dieser Christus Gottes beides ist, ganz wie Gott und ganz wie wir Menschen. Zugleich. Dass sich das Diesseits nicht mehr ohne das Jenseits denken lässt, dass Gott im Gewebe des Lebens selbst ist. Dass auch wir – durch diese Geburt - zu seinen Kindern werden und ihn in unseren Genen haben. Das übersteigt die Möglichkeiten unseres Denkens. Das erschließt sich nur einem anderen Zugang, dem der Seele.

Und davon sollen wir leben. Von dem Wissen, dass auch wir beide Qualitäten in uns haben, immer, ganz menschlich zu sein, und ganz gottgebunden zu leben. Dass auch in unserem wilden Herzen, wie Rilke es so poetisch ausgedrückt hat, "obdachlos die Unvergänglichkeit nächtigt." Wir sind nicht mehr nur von dieser Welt, wie Christus selbst. Wie sind – genau wie er - immer schon auch von dieser anderen Welt: gehalten, gemeint, beauftragt, geliebt. Das zu bemerken, das zu glauben, darauf zu vertrauen, daraus zu leben, darum geht es.

Der Predigttext wie eine heilsame "Zurechtweisung" genau an deisem Punkt:

Bleib doch nicht allein stehen bei dem, was vor Augen ist. Schau doch nicht nur auf das, was dir vor den Füßen liegt, nicht nur auf deine Herausforderungen, auf das, was dir Angst macht, auf Deine Not, die Beschwer, das Hadern, sonst verpasst du darüber den Himmel, der über dir längst offen ist und dich versorgt mit dem, was du brauchst. Sonst entgeht dir, dass da eine andere Wirklichkeit hinter, unter, über, mitten hineingewebt in unsere. Für dich gegeben. Nimm es wahr. Und dann leb damit und davon.

Die Bilder der Offenbarung zeigen uns eine ferne, vielleicht fremde Welt. Fast unwirkliche Bilder. Da ist Gottes Thron – und um ihn herum ein Hofstaat von Wesen und Engeln, die unablässig Gott loben: Wie ein stetig auf- und abwogendes Mantra sagen sie ihm Lob und Preis, immer wieder. Dieses Bild von tiefer Ruhe und Anbetung der "Herrlichkeit" Gottes ist ein Gegenbild zu unserer Welt, ihrem Chaos, ihrem Durcheinander, den rivalisierenden Herrschaftsansprüchen über unser Leben. Gelassenheit und Ruhe, der Friede einer anderen Welt, diesen Einblick hält die Offenbarung offen. Die Hoffnung auf diesen Frieden, den die Welt nicht kennt und so dringend braucht.

Und dann sehen wir, in dieser fernen Welt eine große Schar von Menschen aus allen Völkern und Sprachen, Menschen aus allen Jahrhunderten und allen sozialen Schichten, alle in weißen Kleidern und mit Palmzweigen: Menschen, die am Ziel sind, die Not und Leid dieses Lebens schon hinter sich haben. Und auch sie singen ein Lied, laut und kräftig: Das Heil ist bei unserem Gott – und bei dem Lamm! Sie können dieses Lied singen, denn sie sind "Heimgekommene", Erlöste – sie schauen schon, was sie geglaubt hatten. Und diese Bilder möchte ich nicht diskreditieren, auch wenn sie mir als Bilder fremd bleiben.

Was mir nahe kommt, ist, dass es Bilder von Erlösung sind. Und wem die Erde zur Hölle wird, wer hier nicht mehr zurecht kommt oder gar – wie viele Christen in der Welt – um sein nacktes Leben fürchten muss, der ersehnt solchem Frieden, solche Erlösung. Und wie viele Menschen, die unter unerträglichen Schmerzen leiden, tun dasselbe.

Früher haben diejenigen, die in der Osternacht getauft worden sind, danach weiße Kleider getragen. Ein wunderbares Symbol für das neue unbefleckte, unangetastete, unantastbare neue Leben, das sie empfangen haben in der Taufe. Weiß, die Farbe der Auferstehung, die Farbe von Weihnachten. Zugedeckt, was vorher war, in ein neues Kleid gekleidet. Das altes Leben zählt nicht mehr, was vorher war, ist geheilt. Der, von dem es an Weihnachten heißt: Euch ist heute der Heiland geboren, Christus, der Retter.

"Was diese Menschen alles erzählen könnten", hat ein Kollege einmal gesagt: "Glaubende und Zweifelnde aus allen Jahrhunderten, Arme und Reiche, Schwarze und Weiße, Zeugen aus allen Völkern und Konfessionen: Eine große, bunte und [...] singende Menge. Manche haben wohl mit dem Leben für ihren Glauben bezahlt, andere sind gerade noch davongekommen. Viele haben im Stillen geweint, gebetet, gesungen und gehofft. Eine große Schar von Menschen mit Erfahrungen des Glaubens und der Rettung. Wenn wir sie nur hören und ihre Geschichten verstehen könnten." Was für ein Bild, dieses Heer von Menschen, die sich einfinden vor dem Thron Gottes, um einzustimmen in den Jubel der Erlösten. Sie alle bekennen miteinander: Das Heil ist bei unserm Gott, der auf dem Thron sitzt, und bei dem Lamm!

Alles hängt mit allem zusammen und lässt sich nicht auseinander dividieren. Der, der da geboren ist, ist auch der, den diese Welt nicht anerkannt hat. Er ist auch der, den diese Welt kriminalisiert, angeklagt und zum Tode verurteilt hat. Er ist auch der, der am Kreuz hingerichtet wurde. Und derselbe, den Gott auferweckt. Dieser selbe Jesus Christus, der den ganzen Weg genommen hat von seinem Vater im Himmel auf diese Welt , durch diese Welt und zurück zum Vater, der bürgt dafür, dass der Weg gangbar ist. Der bürgt dafür, dass es ein Erbe gibt, das uns gilt und das wir in Besitz nehmen sollen, schon jetzt. Dass wir "allerwegen Weg haben" und es uns "an Mitteln nicht fehlt", wie Paul Gerhardt es gedichtet hat, dass "Gottes Tun lauter Segen ist, sein Gang lauter Licht", dass "sein Arbeit niemand hindern kann, seine Arbeit nicht ruht, um das, was uns hilft, zu tun.

Und das ist – wenn auch in fremden Bildern- gar nicht verstaubt, verschroben, verpeilt, "nicht von dieser Welt", sondern getrost und zuversichtlich, im Letzten frei und tief gebunden.

Die Offenbarung des Johannes verweist uns auf eine Gegenkraft, die uns ins Herz geschrieben ist, auf die Kraft des Glaubens und der Hoffnung für unseren Weg. Die fremden Bilder der Offenbarung weiten unseren Blick über den engen Tellerrand unseres Sichtfeldes auf Gott und seine Macht in unserem Leben. Und das ist wichtig. Denn wer nur die eine Hälfte sieht, verpasst das Wesentliche.

Der Chor der Zeugen erinnert uns auch, dass diese Welt trotz aller ihrer Katastrophen und Wirren, in Gottes Händen steht. "Gott sitzt im Regiment und führet alles wohl", heißt es bei "Wer nur den lieben Gott lässt walten!"

Angesichts der gesammelten Schreckensnachrichten eines Jahres, die vermutlich auch wie alle Jahre wieder über die Mattscheiben flimmern zwischen den Tagen, brauchen wir diese Erinnerung an diesen Regenten und seine Macht.

Den Blick auf die Wirklichkeit Gottes; denn sie ist eine Kraft gegen die Resignation. Und das Lob Gottes ist es auch. Immer wieder. Darum lasst uns Loblieder singen, an Weihnachten und an Ostern und immer dann, wenn uns danach ist und auch dann, wenn uns gerade gar nicht danach ist. Weil es uns daran erinnert – gerade auch dann, wenn uns bange darum ist - , dass unser Leben aufgehoben ist und es bleibt, bei dem, der es selber in seine guten Hände genommen hat. Darum: Frohe Weihnachten!

Amen.

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