Christvesper am Heiligabend

Christvesper am Heiligabend

Christvesper am Heiligabend

# Archiv Predigten 2017

Christvesper am Heiligabend

Liebe Blankeneser „Alle Jahre wieder Gemeinde“,

es ist ja immer das Gleiche und immer so grenzwertig freudenhaft: meine Tochter und ich haben mit einer ihrer Freundinnen den Baum gekauft und natürlich war der meiner Frau zu groß und Freitagabend haben wir ihn aufgestellt und er passte nicht in den Fuß und dann mussten Beil und Säge hervorgekramt werden und im Dunklen auf einem rutschigen Balkon versuchte ich, das Stammende für den Fuß passend zu hauen, sägen, stechen und dann passte das endlich und wir haben ihn geschmückt - Stilisten und Designbewusste würden eher sagen, wir hätten ihn behängt, den Baum, sicher nicht geschmückt - und dann hat meine Frau die Krippenfiguren „hingestellt“, sage ich, denn das stimmte natürlich alles nicht, wie die Könige da standen bzw. knieten, sie, die in der Weihnachtsgeschichte, wie wir sie eben hörten, gar nicht vorkommen, was meine Konfis immer so empört – „Wo sind sie denn nur?“ Sie sind bei Matthäus, aber wer war das noch mal? Jedenfalls musste ich umbauen und ließ einen der Könige neben einem Hirten knien, denn das muss Weihnachten doch funktionieren, dass zumindest eine alte Figur eines Weisen, Königs, Sterndeuters – was waren die Drei noch mal? – neben einer Hirtenfigur kniet, aber das kam bei unserer Tochter, der letzten Instanz der Familie, nicht richtig an und ich werde mich hüten, ihre Aufstellung noch einmal zu korrigieren…

Es ist Weihnachten, liebe Gemeinde, ja. Und ich freue mich und ich wünsche uns allen eine Freude, die demütig ist, die absehen kann von Richtigkeiten, Kleinkram – und davon gibt es zu Weihnachten viel.

Das schönste Bild von Demut ist für mich eine Mutter oder ein Vater mit nach oben ausgestreckten Armen, die ein Kind halten. Strahlend und dankbar sind die Augen auf dieses kleine Wesen gerichtet, das da zwischen Himmel und Erde gehalten wird. Nach oben geht der Blick, die Beine haben festen Grund, aufrecht steht ein Mensch da und betrachtet dieses Geschenk. Die ganze Haltung drückt aus: hier ist ein Mensch eins mit sich und seinem kleinen Gegenüber, macht das Kleine ganz groß in seiner Dankbarkeit und Freude, stellt sich selbst unter dieses Geschenk, ist ganz bei ihm. Demut ist keine Kleinmacherei, ist keine knechtische Unterwürfigkeit, sondern eine Haltung, eine Daseinsmöglichkeit, die sich verdankt und diesen Dank auslebt, gerade in der Hinwendung zum Kleinen. So kann sich eine ganze Gemeinde verstehen: beschenkt, dankbar und in der Lage, auch noch zum Kleinsten und Geringsten empor zu sehen.

Was die Hirten mitnahmen in den Alltag, in ihre Zukunft und in ihr Leben, das war der Anblick eines Kindes in der Krippe und die Botschaft, dass Gott nicht in dieser Welt auftritt wie ein Mächtiger, wie ein Kaiser, dass das Heil dieser Welt nicht in der Stärke, in der Macht liegt, die immer nur Kraftmeierei und - mit Verlaub – Machtgeilheit befördern, sondern sie erfuhren und nahmen mit, dass mit Gott eine Liebe in der Welt ist, die klein ist und schwach, immer neu geboren, groß werden und sich mitteilen will. „Welt, een Kind wiest die Gott!“, sangen wir. „Welt, ein Kind zeigt dir Gott!“

Im Kind in der Krippe, in Jesus sahen sie das Bild dieser Liebe Gottes.

Und behielten nichts für sich, sondern erzählten davon. Sie fühlten sich himmlisch beauftragt und berufen:

Ihre Nachricht ging um die Welt, weil Menschen sich wie die Hirten beauftragt fühlten, sie weiterzusagen. Wer es anderen überlies, wer meinte, das sei Sache der Professionellen, der hatte überlesen, dass es Hirten waren, die von ihrem Glauben erzählten, und nicht Priester und Schriftgelehrte, und der ließ Jesus umsonst geboren sein.

Diese Beauftragung gilt auch heute und uns allen. Damit Weihnachten nicht ein Fest von höchstens zwei Tagen und einem mehr oder minder Heiligen Abend wird, sondern in die Welt einzieht.

Ich fand einen Text aus Brasilien:

Jedesmal, wenn zwei Menschen einander verzeihen, ist Weihnachten. Jedesmal, wenn ihr Verständnis zeigt für eure Kinder, ist Weihnachten. Jedesmal, wenn ihr einem Menschen helft, ist Weihnachten. Jedesmal, wenn jemand beschließt, ehrlich zu leben, ist Weihnachten. Jedesmal, wenn ein Kind geboren wird, ist Weihnachten. Jedesmal, wenn du versuchst, deinem Leben einen neuen Sinn zu geben, ist Weihnachten. Jedesmal, wenn ihr einander anseht mit den Augen des Herzens, mit einem Lächeln auf den Lippen, ist Weihnachten. Denn es ist geboren die Liebe. Denn es ist geboren der Friede. Denn es ist geboren die Gerechtigkeit. Denn es ist geboren die Hoffnung. Denn es ist geboren die Freude. Denn es ist geboren Christus der Herr.

Jesus ist nicht Gott, aber Gott hat sich in diesem Jesus gezeigt oder offenbart - in seinem Wesen, in seiner Liebe, seiner Freiheit und Großzügigkeit, seinem Erbarmen und seiner Treue. Schon die Krippe und das Kind darin erzählen von diesem Gott, von dieser göttlichen Wirklichkeit, von der wir umfangen sind.

Ich gehe noch einen Schritt weiter: Ich brauche Jesu Göttlichkeit nicht, ich brauche seine Menschlichkeit, seine „Gottunmittelbarkeit“, seinen Geist, seinen Glauben, mit dem er lebte und starb, um zu Gott zu finden. Jesus war nicht göttlich, aber sein Glaube und seine Gottesbeziehung waren es.

Ein Kind wurde geboren vor langer Zeit. Ein besonderes Kind, ein Kind des göttlichen Geistes. In diesem Geist wird es groß werden und von Gott und seinem Himmelreich erzählen, wird die andere Wirklichkeit leben, die Wirklichkeit der Liebe und des Friedens. Und danach wird es genannt und betitelt werden: Christus, der Herr, der Heiland, der Messias, der Retter, der Herr, der Sohn Gottes…

Kein Titel wird dem Kind von Bethlehem gerecht, auch in ihrer Gesamtheit schaffen es die Titel nicht. Sie versuchen Jesus durchzubuchstabieren. In ihm ist Weihnachten und es ist an uns, nicht wahr, ihn groß werden zu lassen, Weihnachten werden zu lassen – nicht als Datum, sondern als Wirklichkeit. Amen.

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