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Ewigkeitssonntag: Offb 21, 1-7
Ewigkeitssonntag: Offb 21, 1-7
# Archiv Predigten 2016
Ewigkeitssonntag: Offb 21, 1-7
Liebe Gemeinde,
"Sie wird es nicht verstehen!", sagt das kleine Mädchen und schaut den Mann neben ihr an, eine Hand in seiner geborgen. "Doch, sie wird es verstehen. Eines Tages wird sie es verstehen", antwortet er ihr.
Mit dieser Szene beginnt der Film "Stadt der Engel" und er beleuchtet eine furchtbare Szene. Ein kleines Kind auf dem Behandlungstisch einer Notaufnahme, umringt von Ärzten und Schwestern, die vergebens um sein Leben kämpfen. Eine Mutter, die verzweifelt und fassungslos zusammenbricht über ihrem verstorbenen Kind. Und im selben Bild, wie doppelt belichtet, steht dieses selbe kleine Kind neben diesem Behandlungstisch, unversehrt, heil, wie es gleichzeitig dieser Szene zuschaut, als gehöre es schon nicht mehr dazu.
"Wohin gehen wir?", fragt es den Mann an ihrer Seite. "Nach Hause!", antwortet er.
"Bist du Gott?" , fragt sie weiter. "Nein", sagt er und fährt lächelnd fort: "Was mochtest Du am liebsten als du hier auf der Erde warst?" "Schlafanzüge mit Füßen dran!", erzählt sie ihm und geht an seiner Hand in einem Schlafanzug mit Füßen dran weg von diesen Ort, wo die Fragen und das Leid der anderen erst beginnen.
Mich hat der Film sehr berührt, weil er beides festhält und es nicht gegeneinander ausspielt: das Grauen des Todes und den Trost einer Weisheit, die um das ganze Bild weiß.
Er hält fest, worum es am Ewigkeitssonntag geht, worum es uns geht, die wir heute hier zusammengekommen sind: darum, dass Menschen sterben und wir manchmal daran verzweifeln, fassungslos sind, es nicht begreifen können und auch gar nicht wollen, aus dem Leben geworfen werden und Trauer tragen. Und zugleich, dass selbst ein so furchtbarer, so wenig hinnehmbarer Tod wie der eines kleinen Kindes, noch immer in einer größeren Geschichte steht und nicht herausfällt aus dem Zusammenhang Gottes.
Dass Gott unsere Herkunft und unsere Heimat ist und bleibt, das hält der Ewigkeitssonntag fest und dieser Film hat es mir in wunderbaren Bildern noch einmal vor Augen gemalt. Den Frieden, die Geborgenheit, das Aufgehobensein, das Erwartetwerden in einer anderen Welt. Ohne das Leid, ohne das Grauen des Todes zu verleugnen. Denn:
So wenig die Mutter es verstehen kann, was da passiert, aufgewühlt, fassungslos, verzweifelt neben ihrer toten Tochter, völlig geschockt von dem, was über ihr hereinbricht, so wenig lässt sich der Tod überhaupt begreifen, so wenig lässt es sich überhaupt verstehen, dass ein Mensch, der mir nahe ist, stirbt, sterben muss. Sie alle, die Sie einen Menschen verloren haben, werden auf die eine oder andere Weise an diesem Punkt gestanden haben. Auch dann, wenn der Tod nicht zur "Unzeit" kam und vielleicht sogar als Erlöser, auch dann, wenn er nicht völlig überraschend kam, wider alle natürlichen Abläufe und vermeintlichen Sicherheiten wie hier. Weil sich der Tod nicht von selbst versteht. Sterben müssen, leiden müssen, ohnmächtig dem ausgeliefert sein, was da passiert, das lässt sich nicht begreifen. Das gibt uns Fragen auf, manchmal ohne eine einzige zu beantworten.
Paulus beschreibt das in einem Vers im Korintherbrief in seinen Worten so: "Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild." Wir sehen eben meist nicht mehr als ein Rätselbild und jeder einzelne Tod bringt seine eigenen, manchmal schwer zu deutenden Bilder mit.
Heute, am Ewigkeitssonntag erinnern wir uns an die, die im hinter uns liegenden Kirchenjahr gestorben sind, legen ihre Namen noch einmal Gott ans Herz, bergen unseren Schmerz und unsere Dankbarkeit, unsere Liebe und die Sehnsucht unseres Herzens, alles, was uns umtreibt, in ihn.
Im Vertrauen darauf, dass er die richtige Adresse dafür ist. Im Vertrauen darauf, dass neben dem, was wir nur hinnehmen, aber nicht begreifen können noch eine andere Seite existiert, es noch einen anderen Blick auf diese Situation gibt, eine andere Deutung und Erleuchtung, die wir jetzt, heute, hier, noch in Unklarheit gehüllt ist, noch nicht begreifen können.
Er hält eine Hoffnung fest, die mehr weiß, die ein größeres Bild, die den ganzen Zusammenhang kennt und uns andere Bilder in die Seele spielt.
"Ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr",
so heißt es in der Offenbarung des Johannes, im 21. Kapitel:
"Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann. Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein und er selbst, Gott, wird mit ihnen sein; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen,und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu! Und er spricht: Schreibe, denn diese Worte sind wahrhaftig und gewiss! Und er sprach zu mir: Es ist geschehen. Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende. Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst. Wer überwindet, der wird es alles ererben, und ich werde sein Gott sein und er wird mein Sohn sein".
Im Augenblick des Todes, so erfährt es das kleine Mädchen, so verheißt es uns die Offenbarung des Johannes, ist das Dunkel vorbei. Ist die Dunkelheit vorbei. Ist der Vorhang zwischen dieser und einer anderen Welt gelüftet. Jetzt sehen wir nur das, was wir schemenhaft erkennen können von diesem Geheimnis des Lebens, dem Tod. Dann aber sehen wir klar, ohne jeden Schleier, von Angesicht zu Angesicht. Dann sind wir auf der anderen Seite und jemand, den wir jetzt nicht sehen können, sieht uns an. So, dass wir ihn erkennen können. Noch sind unsere Augen gehalten, dann aber werde ich erkennen wie ich erkannt bin. Ganz, mit all meinen Farben. Mit allem, was zu mir gehört. Mit meinem Licht und meinem Dunkel. Dann werde ich erkennen – und in dem Blick der Liebe, der mich trifft, erkennen, dass ich erkannt bin im Tiefsten.
Das hat mich am meisten berührt in diesem Film. Der tiefe Friede, in den dieses kleine Mädchen gehüllt war, während gleichzeitig alle Menschen auf der anderen Seite des Vorhangs ihrer Ohnmacht und Verzweiflung ausgeliefert waren. Das tiefe Erkannt-Sein, das tiefe Vertrauen, das Angenommen-Sein. Da geht jemand nach Hause, dieses Bild ist in mir entstanden. Geborgen, an die Hand genommen. Da wird jemand erwartet, sehnsüchtig. Da wird jemand tief geliebt.
Und gleichzeitig – wie in der doppelten Belichtung eines Bildes - lässt er andere zurück, die verstört sind, die hadern, die ringen mit den Fragen und mit dem Leben, mit dem Warum und mit ihrer Angst um sich selbst.
Und beides stimmt, beides spiegelt einen Teil der Wahrheit.
Sie, die Sie heute hier sitzen, haben Ihre ganz eigenen Erfahrungen gemacht und ahnen etwas von beiden Teilen, sonst wären Sie nicht hier. Wer einen Menschen begleitet ganz bis zum Schluss, auch auf dem letzten Stück seines Weges, der kann ihn manchmal sich im Luftzug bewegen sehen, diesen Vorhang und etwas erkennen von der doppelten Belichtung des Bildes. Der kann manchmal etwas erspüren von dem Frieden, der sich einfindet im Sterbezimmer und von weit her kommt, der spürt manchmal etwas von der Einstimmung in etwas, was unwiderruflich ist und größer als wir und sich mitten im Sterben noch einmal vollkommen dreht ins Licht. Trotz allem Leid, trotz aller Trauer, trotz mancher Auflehnung dagegen, loslassen und gehen zu müssen.
"Sie wird es nicht verstehen!", sagt das kleine Mädchen zu dem Mann, der es an die Hand nimmt und sieht ihre Mutter an, die zu zerbrechen scheint an diesem Tod.
"Doch, sie wird es verstehen. Eines Tages wird sie es verstehen.", sagt er. Das ist das, was ihr aufgegeben ist, hier auf der anderen Seite des Vorhangs. Das ist das, was uns aufgegeben ist, die wir einen Menschen loslassen müssen, den wir liebhatten. Unseren Weg zu nehmen durch die Gewalt des Todes, neben der wir klein sind und ohnmächtig, durch die Zumutung der Trauer, die uns an unsere Grenzen bringt, durch die manchmal so schwere Aufgabe, nicht aufzugeben, bis wir den Segen und die Verheißung gefunden haben, die auch in dieser Zumutung noch steckt.
Damit auch wir eines Tages – vielleicht ohne es zu merken - in die Tiefe gewachsen sind, andere geworden sind und – wie dieses kleine Mädchen - am eigenen Leibe erfahren haben, dass es da nichts mehr zu begreifen gibt, nichts mehr zu trauern, nichts mehr zu zagen, nichts mehr zu verzweifeln, wenn auch uns einer an die Hand nimmt und auch zu uns sagt: "Komm, lass uns nach Hause gehen!".
Amen.
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