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15. Sonntag nach Trinitatis: 1. Pet 5,5-11
15. Sonntag nach Trinitatis: 1. Pet 5,5-11
# Archiv Predigten 2016
15. Sonntag nach Trinitatis: 1. Pet 5,5-11
Man hält uns einen großen Korb mit verschiedensten Tüchern hin, und die darauf folgende Geste ist recht eindeutig: Wir sollen ein Tuch nehmen und es uns um den Kopf binden. Bevor wir den Tempel betreten, ist es notwendig, unsere Haare zu bedecken. Von einem kunstvollen Turban, wie sie unsere Gastgeber auf ihrem Haupt tragen, kann bei uns allerdings weniger die Rede sein. Ich wäre froh, wenn mein Tuch nur irgendwie Halt finden würde.
Wir sind zu Gast bei den Sikhs, einer eher kleineren indischen Religionsgemeinschaft. Herzlich werden wir begrüßt und mit Stolz und großer Offenheit führt man uns in dem Heiligtum herum.
Eine eigenwillige Religion, friedliebend, obwohl ihre Anhänger, Männer wie Frauen, berühmt sind für ihren Mut und ihr kämpferisches wie kriegerisches Geschick. So trägt auch jeder bekennende Sikh einen kleinen Dolch über seinem Gewand, der dieser langen Tradition Ausdruck verleiht. Ebenso erkennt man sie von Ferne leicht an dem schon erwähnten Turban. Die Regeln der Religion gestatten es nicht, sich die Haare zu schneiden; sie werden unter dem Turban versteckt. Zu den weiteren Erkennungszeichen gehören daneben ein besonderer Kamm sowie ein kunstvoll gestalteter Armreif, den jeder trägt.
Ich erlebe es jedesmal als aufregend und berührend, wenn ich solcher Fremdheit unmittelbar begegne – und ich merke – in dem freundlichen Gespräch, das sich in aller Offenheit entwickelt – wie es mich beglückt, an diesen so ganz persönlichen Gedanken meines Gegenübers teilhaben zu dürfen, weil sich in mir ein neuer Kosmos öffnet und ich ihn betreten darf.
Ganz selbstverständlich werden uns die Grundpfeiler, Bräuche und Gepflogenheiten dieser Religion erzählt, und ich staune über die Disziplin in der Befolgung ihrer Regeln und über die Freude, – ja, über Beides, was ich während unseres Gespräches deutlich wahrnehme. Es gibt zum Beispiel klare Ernährungsgewohnheiten. Die Sikhs, mit denen wir uns in diesem Tempel treffen, sind überzeugte Vegetarier, weil sie sagen, dass alles Leben eine Seele besitze und sie deswegen anderes Leben nicht töten. Außerdem verzichten Sie auf Alkohol und andere bewusstseinstrübende Substanzen – um einen klaren Geist zu behalten.
Zum Abschluss unserer Begegnung reicht man uns einen Tee und wir singen gemeinsam ein Lied, das uns leidlich gelingt.
Religionen leben von ihren Erkennungszeichen: Unterschiedlichste Symbole, Rituale, Gegenstände, Regeln und Kleidungen. Und es ist erstaunlich dabei, wie unterschiedlich diese Erkennungszeichen in unterschiedlichen Kontexten und Bezügen wirken und Wirkungen hinterlassen.
So ließ mich der Dolch an den Gewändern der Sikhs keine Sekunde an der friedfertigen Absicht und der Freundlichkeit unserer Gastgeber zweifeln. Eher wirkte er folkloristisch, keinesfalls bedrohlich. Wäre mir eine Gruppe von Sikhs - in voller Montur - vor dem Blankeneser Bahnhof begegnet, wäre das gewiss anders. So erlebe ich die Debatte, die gegenwärtig hitzig geführt wird über ein Verbot von Burka und Niqab. Man gewinnt den Eindruck, dass dabei ein Stück Stoff in den Rang einer Waffe gehoben wird.
Dass der Dolch harmlos wirkte auf mich, lag an der inneren Haltung, mit der er getragen wurde. Mit Stolz auf eine lange Tradition. Und mehrfach betonte unser Gesprächspartner, dass der Dolch niemals einem Angriff dienen würde. Und das wurde in der Art, wie wir uns begegneten, dann auch sehr schnell deutlich.
Aber was weiß ich denn schon wirklich über die Beweggründe und die innere Haltung, mit der eine Burka oder ein Niqab getragen werden? Welches Urteil maße ich mir an, wenn ich darin automatisch ein Bekenntnis zu Salafismus und Fundamentalismus, gar zu Gewalt vermute? Ich will diese Kleidung gewiss nicht rechtfertigen, wenn sie der Unterdrückung von Frauen dient und unter Zwang verordnet wird. Aber ich will werben für ein differenziertes Hinschauen und für ein Gespräch, für einen Dialog.
Christian Wernicke schreibt in der Süddeutschen Zeitung: Die Trennung von Kirche und Staat, einst eine Verheißung individueller Freiheit, wird in der Hand von Populisten zur Keule gegen Andersgläubige.
Natürlich: Schwarz-Weiß-Denken ist einfach und bequem. Und auch das ist wahr: manchmal können wir uns im ersten Augenblick gar nicht gegen so ein Denken wehren. Da sind wir naturgemäß verängstigt von allzu plötzlicher und dominanter Fremdheit. Wir urteilen dann schnell und verurteilen manchmal auch allzu schnell, aus Angst und Sorge. So ein Schubladensystem liegt in unserer Natur.
Und doch muss man an dieser Stelle nicht stehen bleiben. Wir haben auch da eine Wahl.
Und hier sehe ich es als hilfreich, was uns unsere eigene Tradition, unser christlicher Glaube mit dazu gibt. Das Christentum ist ja in seiner Entstehung gerade aus einer Fülle und Strenge an Vorschriften und Gesetzen des Judentums herausgewachsen. Jesus hat vor allem mit der Übertretung von Kult und Ritualgesetzen, wie z.B. dem Sabbatgebot und den Reinheits- und Unreinheitsgeboten, ihre Sinnhaftigkeit immer wieder hinterfragt. Seine Jünger ernteten am Sabbath, was streng verboten war, und er selbst speiste mit Unreinen, berührte sie selbstverständlich und sprach sie von Sünden los. Auf der anderen Seite verschärfte er radikal ethische Grundsätze im Judentum. Nicht nur deinen Nächsten sollst du lieben, sondern auch deinen Feind. Nicht nur mit einem Mord machst du dich des 5. Gebotes schuldig, sondern schon mit einer ausgesprochenen Beleidigung. Usw.
Fast hat es den Anschein, Jesus verzichte auf alle äußeren Erkennungszeichen und wendet sich ganz einer inneren Haltung zu. Bei Johannes sagt er: Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt. Das ist das Erkennungszeichen der Jünger Jesu. Frei von Gesetzlichkeit, dafür ganz und gar der Liebe hingegeben. Keinesfalls weniger anspruchsvoll.
Diese Liebe im Sinne Jesu zu beschreiben, auszugestalten und herunter zu brechen in den Alltag, hinein zuholen in alle Nischen und Winkel des Lebens, versuchen viele der neutestamentlichen Briefe. So auch der Predigttext für heute aus dem 1. Petrusbrief:
Ich lese ihn vor:
Alle aber miteinander haltet fest an der Demut; denn Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade. So demütigt euch nun unter die gewaltige Hand Gottes, damit er euch erhöhe zu seiner Zeit. Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch. Seid nüchtern und wacht; denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge. Dem widersteht, fest im Glauben, und wisst, dass eben dieselben Leiden über eure Brüder und Schwestern in der Welt gehen. Der Gott aller Gnade aber, der euch berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christus Jesus, der wird euch, die ihr eine kleine Zeit leidet, aufrichten, stärken, kräftigen, gründen. Ihm sei die Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.
Als Christinnen und Christen selbstbewusst in unserer säkularen Gesellschaft für unseren Glauben einzustehen, das kann dann heißen, im Sinne des Petrusbriefes – eine innere Haltung zu entwickeln: demütig bleiben gegenüber jeglicher Art von Hochmut, von politischen religiösen und menschlichen Hochmut. Eine Demut auch gegenüber eigenen vorschnellen Urteilen walten zu lassen und dabei Abstand gewinnen zu können auch von sich selbst. Nüchtern und wachsam bleiben gegenüber allzu brüllenden, lauten Tönen.
Mit Klugheit und Verstand. Durchaus. Aber darin und überhaupt: getragen von einer größeren Liebe. Das ist unser Erkennungszeichen. Darin sind wir Jüngerinnen und Jünger Jesu.
Amen
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