12. Sonntag nach Trinitatis: Apg 9,1-9

12. Sonntag nach Trinitatis: Apg 9,1-9

12. Sonntag nach Trinitatis: Apg 9,1-9

# Archiv Predigten 2016

12. Sonntag nach Trinitatis: Apg 9,1-9

Der Predigttext für heute steht in der Apostelgeschichte, im 9.Kapitel:

1 Saulus aber schnaubte mit Drohung und Mord gegen die Jünger des Herrn. Er ging zum Hohenpriester 2 und erbat von ihm Briefe an die Synagogen in Damaskus, damit er welche fände , die Anhänger des Weges (Jesu) waren, Männer und Frauen, dass er sie gefangen nach Jerusalem brächte. 3 Auf dem Wege aber geschah es, als er nahe bei Damaskus war, da umleuchtete ihn plötzlich ein Licht vom Himmel, 4 und er fiel auf die Erde und hörte eine Stimme, die rief: „Saul, Saul, warum verfolgst du mich?“ 5 Er aber sprach: „Wer bist du, Herr?“ Da sagte er: „Ich bin Jesus, den du verfolgst. 6 Aber steh auf und geh in die Stadt, und dort wird dir gesagt werden, was du tun sollst.“ 7 Die Männer, die ihn begleiteten, standen sprachlos da; sie hörten zwar die Stimme, sahen aber nichts. 8 Da stand Saulus auf von der Erde, er öffnete die Augen, sah aber niemanden. Da führten sie ihn an der Hand hinein nach Damaskus. 9 Und er konnte drei Tage lang nicht sehen, und aß nicht und trank nicht.

Liebe Gemeinde!

Spektakulär, diese Geschichte. Die Bekehrung des Saulus, wie sie in der Apostelgeschichte geschildert wird, ist dramatisch, filmreif. Vielleicht kennen Sie sogar eine der Verfilmungen, die diese Dynamik geschickt und spannungsreich aufnehmen.

Wie hier der Pharisäer, der hochgebildete und fromme Jude Saulus, im Auftrag seines Gottes unterwegs, gegen die junge Sekte der Christen eifert, die sich um diesen Jesus von Nazareth gebildet hat. Der, ebenfalls Jude ist wie Saulus, der sich ebenfalls –wie Saulus – versteht als einen Teil des auserwählten Volkes Israel und dennoch mit einem ganz eigenen Anspruch auftritt, lehrt, lebt. Die ihm anhängen, behaupten, er sei der lang erwartete Messias, der Gesalbte Gottes. Er sei einer – und das ist unerträglich für den gesetzestreuen Juden Saulus-, der das Gesetz Gottes, die Thora auf ganz eigene Weise auslegt und lebt. Viel zu liberal, viel zu lax, viel zu wenig orthodox. Unerträglich!

Dieser Saulus begegnet vor Damaskus seinem Meister, begegnet dem, der ihm über ist.

„Aus dem Saulus wird ein Paulus“ - so wird das Geschehen ja oft beschrieben: Aus dem radikalen Pharisäer, dem Schriftgelehrten, dem Fanatiker könnte man ja fast denken („Saulus schnaubte mit Drohung und Mord gegen die Jünger des Herrn“, heißt es im Text ) wird ein radikal anderer Mensch, einer, der sich zum Christentum bekehrt, der sich dem anschließt und fortan den verehrt, den er vorher bis auf`s Messer bekämpft hat.

Gerade in diesen Tagen finde ich diesen Text eher beunruhigend. Diese radikalen Wechsel, diese dramatischen Radikalisierungen, ich höre sie durchaus ambivalent. Die furchtbaren Bilder von fanatischen Überzeugungstätern ziehen an meinem geistigen Auge vorrüber.  Wir haben die Bilder doch alle im Kopf von Menschen, die sich bei ihren „Missionen“ auf Gott berufen und mit Gewalt durchsetzen, was sie für die Wahrheit halten. Vom eiferndsten Verfolger der Christen zum glühendster Verehrer, diese ständigen Superlative, mich berühren sie eher ungut. Ich weiß nicht, ob ich diesen Paulus gemocht hätte.

Die Redewendung „Vom Saulus zum Paulus“ allerdings, die ist nicht wirklich zutreffend, wenn man damit sagen will, mit dem inneren Wandel ginge auch eine Namensänderung im außen einher, wie wir es aus vielen anderen Kontexten kennen. Paulus ist allerdings nicht der Name seiner neuen Identität (als ein Anhänger Jesu Christi), sondern lediglich sein lateinischer Name, der neben dem hebräischen Namen Saulus, den ihm seine Eltern gegeben haben, steht. Den lateinischen Namen Paulus hat er als römischer Staatsbürger aus der Stadt Tarsus dem römischen Weltreich zu verdanken, nicht einer spektakulären Bekehrung vor Damaskus.  Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun, außer vielleicht das, dass wir von ihm fast nur noch mit diesem lateinischen Namen hören. Und mit diesem Namen verbinden wir sein beherztes Eintreten für die Öffnung des exklusiven Erwählungsgedankens Israels auf die Welt hin. Er ist der Frontmann der Liebe Gottes, die die ganze Welt meint. Er wird der Apostel der Völker, steht vor der Welt dafür ein, dass Jesus Christus alle Menschen in den Bund Gottes mit seinem Volk Israel hineingezogen hat.

Ganz bestimmt: Vor Damaskus ist Paulus ist er ein anderer Mensch gewesen und in diesem Geschehen ein anderer Mensch geworden.

Er hat ganz sicher eine radikale Kehrtwende erlebt durch diese Gotteserfahrung, durch diese Erfahrung  mit dem Sohn Gottes, wie immer man diese Kraft zu verstehen hat, die sich ihm da in den Weg gestellt und seiner eifernden Gewalt in die Speichen gefallen ist. Wie jede Gotteserfahrung kann man davon eigentlich nicht so erzählen, dass andere viel begreifen davon. Dafür ist es zu intim, zu sehr mit der eigenen Geschichte verwoben, entzieht sich zu sehr einer objektiven Nacherzählung. Ostern ist es doch genau so. Jede Heilungserzählung stellt uns vor dieses Problem. Und so finde ich es sehr nachvollziehbar, dass Paulus selbst davon nur ganz selten und nur sehr wortkarg erzählt. Es bleibt ein ganz besonderes ganz persönliches Erlebnis. Eins, das ihn unverhofft erwischt und grundlegend verändert hat. Wie jede Gotteserfahrung es tut. So viel ist sicher:

Etwas Gravierendes ist passiert. Etwas, das ihn so aus der Bahn geworfen hat, im wahrsten Sinne des Wortes, das nichts mehr ging. „Da stand Saulus auf von der Erde, er öffnete die Augen, sah aber niemanden. Da führten sie ihn an der Hand hinein nach Damaskus. 9 Und er konnte drei Tage lang nicht sehen, und aß nicht und trank nicht.“

Offenbar ist es eine Körper und Seele umfassende, umwerfende Erfahrung gewesen und Menschen nennen so etwas Bekehrung. Ich kenne Menschen, die auf beeindruckende Weise von ähnlichen Kehrtwenden in ihrem Leben erzählen können, von Erlebnissen, die sie auf eine komplett neue Spur gebracht haben. Manchmal kristallisiert sich wie hier vor Damaskus alles auf so einen Punkt hin.

Aber trotzdem ist eine solche Bekehrung kein unbedingtes und notwendiges Kriterium für die Wahrhaftigkeit des Glaubens. Es gibt unzählige andere Wege und Weisen, wie Menschen zum Glauben finden, ohne alle Dramatik und ohne alle dramatischen Wenden in ihrem Leben.

Mir sind die Gruppierungen suspekt, die davon reden, jeder Mensch müsse sich und sein Leben in einer spektakulären Aktion dem Herrn Jesus übergeben und mit Datum und Uhrzeit sagen können von sich, wann er sich zum wirklichen Glauben bekehrt habe.

Was Lukas hier erzählt, ist keine Bekehrungs- Entscheidung, sondern eine dramatische Krisenerfahrung, die ihm widerfahren ist. Die er nicht gesucht hat. Er wollte nicht zum Christentum konvertieren, überhaupt nicht. Er wollte sich nicht bekehren und zu Jesus Christus schon gar nicht.Er war schon ein gottesfürchtiger Mensch. Er hat auch vorher schon an Gott geglaubt.

Es ist ihm widerfahren und er konnte nichts dagegen tun.

 Wichtig ist mir gerade angesichts dieser Erfahrung festzuhalten: Es kommt nicht in erster Linie darauf an, woher der Glaube kommt, sondern wohin er führt.

Es geht nicht so sehr darum, wer ich bin, sondern darum, was ich aus dem, was mir anvertraut ist, mache.

Das hat Jesus im Grunde permanent gezeigt in seinem Leben. Dass einem Innen ein außen entspricht. Einem Glauben ein Handeln, einem Gottvertrauen eine getroste Freiheit, der Erfahrung der Gerechtigkeit Gottes ein Eintreten für Gerechtigkeit zwischen uns Menschen. Nicht auf die spektakulären Bekehrungsmomente kommt es an, sondern darauf, was daraus folgt. So wie die Taufe auch nur der Anfang des Weges ist. Die Antwort darauf, das Leben aus der Taufe ist das, was dazukommen muss. An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Es geht eben gerade nicht nur um Worte, nicht nur um ein Für-Wahr-Halten, um ein Glaubensgebäude, um das man trefflich theologisch streiten kann, nicht nur eine richtige Dogmatik, sondern um eine Haltung zum Leben, eine Haltung im Leben, die meinem Gehaltensein in Gott entspricht. In Worten und Taten, mit Herz und Hand.

Was ein Glaubender von sich und seinen religiösen Erfahrungen selber sagt, ist immer nur das eine. Da wird viel geredet, wenn der Tag lang ist. Da wird auch manches gesagt, was anderen fremd sein mag oder gar absonderlich erscheint. Das finde ich alles unproblematisch. Fällt in den Bereich von Eigenheiten und Geschmack, darüber steht keinem ein Urteil zu.

Das wirkliche Zeugnis, das Auskunft gibt über meinen Glauben, ist mein Leben. Daran kann ich etwas sehen von Glauben eines anderen, von seiner Liebe, von seiner inneren Freiheit, von seinem Gehaltensein. Daran kann ich erkennen, wie viel Narzissmus in ihm spielt und wie viel Demut in ihm wohnt. Und auch das meine ich nicht als olympische Disziplin. Wir sind alle Anfänger im Glauben, wir sind ja alle noch im Werden und dürfen es von Gott her sein. Wir Menschen sind ja oft so gestrickt, dass wir schnell auch daraus wieder einen Wettkampf machen: ich glaube mehr, besser, tiefer ... als du. Mein Engagement für diese Welt ist besser, umfassender, nachhaltiger, und wie sie alle heißen, die so menschlichen Ideen davon, wie ich mich selbst gerecht spreche und mir erwerbe, was ich brauche, um zu bestehen. Darum geht es nicht, gerade nicht. Es geht viel mehr darum, Gott nicht so viel im Weg herum zu stehen, der längst in unserem Herzen wohnt und es regieren will . Es geht viel mehr darum, das Herz offenzuhalten und mich berühren zu lassen von ihm, gerade in den Krisenerfahrungen unseres Lebens, mich nicht zu verschließen, wo es weh tut, nicht zurückzuschlagen, wo der Widerstand ist, sondern in die Tiefe zu wachsen. Es geht darum, seinen zurechtbringenden Geist immer wieder einzuladen in mein Leben, damit er mich korrigiert und zurechtbringt und zurückholt, wo ich abgekommen bin von der Spur, die er mir ausgelegt hat. Es geht darum, dem, was ich mit ihm erfahren habe, in meinem Leben Ausdruck zu verleihen. So, dass es Zeugnis ablegt von ihm. So dass andere an mir etwas abspüren können von dem, was zu den kostbarsten Erfahrungen meines Lebens gehört und sich aussät in meinen Alltag.

Es ist der Glauben selbst, um den es geht, nicht das richtige Sprechen darüber. Es soll jeder von seinem Bekehrungserlebnis sprechen, so viel er mag; wichtiger ist das Leben, das er führt. Spannend ist deshalb auch eher, dass Paulus selbst diesen Moment vor Damaskus nur ganz selten zum Thema macht. Er verliert nicht viele Worte darüber.

Und nicht selten ist es so, dass sich genau das, was da in einem Moment der Gottesbegegnung mit einem passiert, ohnehin kaum von jemand anderem verstanden wird. Das ist aber auch gar nicht nötig, weil jede wirkliche Gotteserfahrung eine zutiefst persönliche ist und aus einem Menschen heraus leuchtet. Etwas erzählt von der Liebe, die ihn liebefähig gemacht hat. Von der Freiheit, die frei gemacht hat. Von der Vergebung Gottes, die einen zurecht gebracht hat und neu anfangen lässt.

Gucken Sie einmal, wer Ihnen dazu einfällt.

Bestimmt eine von den großen Figuren, die wir alle kennen, die wir ja so schnell auf ein hohes Podest stellen und sie damit verkennen und unerreichbar machen. Das wird ihnen nicht gerecht und der Botschaft, die sie für unser Leben haben können, auch nicht.

Nehmen Sie ruhig Nelson Mandela, aber nehmen Sie ihn als den Menschen, der er war und der er geworden ist. Er wurde ein Friedensstifter, demütig, im Herzen weit und frei und voller großer Möglichkeiten, trotz seiner Geschichte, trotz all des Unrechts, das ihm widerfahren ist, trotz eigenen Unrechts, das er begangen hat. Auch er hat eine Bekehrung erlebt auf Robben Island. Ganz anders als Saulus vor Damaskus, ganz anders. Und dennoch waren die langen Jahre im Gefängnis ganz sicher auch eine Gotteserfahrung. Er ist in die Tiefe gewachsen, Gott hat einen Diamanten geschliffen für eine große Mission als andere ihn weggesperrt haben. Er war trotzdem kein Heiliger, er war nicht ohne Fehler. Er war und er blieb ein Mensch. Und nichts anderes erwartet Gott von uns.

Suchen Sie, wenn Sie ein Lichtspur brauchen, die Ihnen auf den Weg hilft, eher in Ihrem Leben, in Ihrem Umfeld, wenn sie Beispiele für solche Gotteserfahrung finden wollen. Jemanden, dessen Gottvertrauen sie getröstet und umsorgt hat. An jemanden, dessen innere Freiheit Sie staunen macht und fragen lässt: wo kommt das her? An jemanden, der erstaunliche Situationen tragen kann und zum Guten wenden, jemanden, der gütig ist und Gutes in die Welt trägt, barmherzig, aufmerksam, liebevoll, oft humorvoll und Sie sind einem von Gott begnadeten Menschen begegnet. Keinem Heiligen, nicht jemandem ohne Fehler, sondern jemandem aus Fleisch und Blut, den Gott auf seine Reise mitnehmen durfte, jemanden, den er voll bis unter die Mütze mit seiner Liebe beschenkt hat und der von dieser Liebe austeilt an die Welt.

So wie er es am liebsten mit einem jeden von uns täte, an jedem neuen Tag.

Amen.

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