Jubilate: 1. Joh. 5,1-5

Jubilate: 1. Joh. 5,1-5

Jubilate: 1. Joh. 5,1-5

# Archiv Predigten 2016

Jubilate: 1. Joh. 5,1-5

Liebe Gemeinde,

am vergangen Mittwoch haben wir in unserer Reihe Theologie und Glaube mit den Abenden zum Neuen Testament begonnen.

Und eine Überraschung erlebt. Ich jedenfalls.

Denn anders als im Alten Testament, wo es für viele um Grundwissen zum ersten Teil unserer Bibel ging, um Hintergründe, ihre Entstehungsgeschichte, die Geschichte Israels usw., war an diesem Abend eine andere Energie im Raum, eine ganz andere Erwartung als wir mit ca. 45 Menschen im Saal zusammen saßen. Nicht so sehr der Bildungshorizont war für viele das Anliegen, das sie hergeführt hatte – eine in weiten Teilen auch andere Zusammensetzung als im Winterhalbjahr - ,sondern, so wurde es von mehreren ganz deutlich zum Ausdruck gebracht, die Frage nach dem Glauben. Die Frage danach, was man denn glauben kann von dem, was das Neue Testament da berichtet und wie das geht, glauben. Wie die Praxis zur Theorie aussieht, sozusagen. Das explizite Bedürfnis danach, zu begreifen, was da eigentlich berichtet wird von diesem Jesus von Nazareth in den Schriften des Neuen Testaments. Die Frage danach, was seine Geschichte für einen Menschen von heute bedeuten kann.

Eine Teilnehmerin brachte es ganz gut so auf den Punkt: "Ja, das, was man historisch belegen kann, ist ja ganz interessant, aber vielleicht doch eher für Konfirmanden." (Na ja, dachte ich. Ob das für alle hier hinlänglich bekannt ist? Wir hatten u.a. Ausschnitte einer DVD mitgebracht, die anhand von Archäologie und Geschichtsschreibung, anhand von Landschaftskunde und Soziologie einen ersten Einblick in die Lebensbedingungen um die Zeitenwenden, also zur Zeit Jesu, geben sollte. Aber sie führte das aus. "Meine Frage fängt da an", sagte sie, "wo die historisch belegbaren Tatsachen aufhören. Was bedeutet das, wovon die Bibel da erzählt? Wie kann ich das verstehen, was da bezeugt ist? Was hat es mit dem Kreuz auf sich ? Wie soll ich mir Auferstehung vorstellen? Wie geht glauben? Deshalb bin ich hier. Dafür brauche ich ein Rezept."

Okay. Das war nun etwas ganz anderes als das, was wir vorbereitet hatten. Auch unabhängig davon, dass wir im Glauben mit Rezepten nicht weiter kommen, so einfach ist es leider nicht.

Wir dachten daran, die Geschichte Jesu erstmal – zum Einstieg in diese Reihe- zu bebildern. Einen Eindruck zu vermitteln von dem Land, in dem er geboren und aufgewachsen ist, in dem er gelebt hat und gestorben ist. Wie sah Israel damals vermutlich aus zur Zeit Jesu ? Wie muss man sich ein Dorf zur damaligen Zeit vorstellen, wie Bethlehem, wie Nazareth, wie das Haus, in dem er gelebt haben könnte? Wie den Tempel in Jerusalem, wie das Passahfest. Wie könnte es gewesen sein als er mit 12 Jahren im Tempel saß und mit Schriftgelehrten debattierte. Meine Bilder musste ich revidieren, als ich zum ersten Mal das wirkliche Israel und die Rekonstruktionen von Häusern und dem Tempel in meinem Studium gesehen habe. Wir bebildern doch automatisch die Texte, die wir lesen. Mit dem Wissenshorizont, den wir gerade haben.

Momentaufnahmen zu den biblischen Geschichten, die normalerweise unseren Blick auf das Leben Jesu prägen, das war unsere Idee. Deshalb dachten wir uns, ein paar Grunddaten und Bilder am Anfang, das ist ganz gut zum Einstieg in die Reihe. Wissensvermittlung. Bildung zu diesem Thema sozusagen. Ein paar Grundlagen zum Verstehen, so war es gedacht.

Und traf so nur das Bedürfnis einiger weniger. Erstaunlich. Und doch eigentlich wunderbar, finde ich. Dass es Menschen eben um das geht, "was sie unbedingt angeht", wie Paul Tillich, einer der großen Theologen des letzten Jahrhunderts, das einmal beschrieben hat. Der Glaube kommt nicht ohne Wissen aus, der braucht auch Bildung, auch einen weiten Horizont. Der muss aber über den Bildungshorizont natürlich hinaus- und im Leben eines Menschen ankommen, sonst bleibt es bei einem Für-Wahr-Halten, einem philosophischen Abwägen, einem Gedankenspiel. Um diesen Unterschied, die Theorie zur Praxis sozusagen, geht es auch in unserem Predigttext für heute. Um das, was uns unbedingt angeht an der Geschichte dieses Wanderpredigers Jesus aus Nazareth. Darum, was es mit uns und unserem Leben zu tun hat. Er steht im 1. Johannesbrief, im 5. Kapitel:

Wer glaubt, dass Jesus der Christus ist, der ist von Gott geboren; und wer den liebt, der ihn geboren hat, der liebt auch den, der von ihm geboren ist. Daran erkennen wir, dass wir Gottes Kinder lieben, wenn wir Gott lieben und seine Gebote halten. Denn das ist die Liebe zu Gott, dass wir seine Gebote halten; und seine Gebote sind nicht schwer. Denn alles, was von Gott geboren ist, überwindet die Welt; und unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.Wer ist es aber, der die Welt überwindet, wenn nicht der, der glaubt, dass Jesus Gottes Sohn ist? (1. Johannes 5, 1-5)

"Wer glaubt, das Jesus der Christus ist...", damit geht es schon los. Wir sagen ja manchmal Jesus Christus als wäre das Vor- und Zuname wie Erwin Müller oder ein Doppelname wie Maria-Magdalena. Dabei ist in diesen beiden Worten schon alles drin, was wichtig ist. Schon sie sind eine Glaubensaussage. Das, was meldebuchtechnisch zu erfassen ist an diesem Rabbi, ist: Jesus, Sohn des Joseph, aus Nazareth. Christus gehört nicht ins Melderegister und wäre bei keiner Volkszählung erfasst worden. Es ist eine Glaubensaussage.

"Christus" ist nicht sein zweiter Vorname, sondern ein Ehrentitel. Weil Menschen ihn als Christus, als Gesalbten, als Gesandten Gottes, erlebt und verehrt haben, darum dieser Titel. Messias im Alten Testament. Und – wie alles eigentlich im Neuen Testament - immer schon in einer bestimmten Absicht aufgeschrieben. Um Zeugnis abzulegen, um Auskunft zu geben von einer Erfahrung, die Menschen unbedingt anging, die sie bewegt, getröstet, herausgefordert, an ihre Grenzen gebracht, befreit und geheilt hat. Um Zeugnis abzulegen davon, dass sie andere geworden sind durch den Christus Gottes. Wir finden eben keine Geschichtsschreibung im Neuen Testament, die sich um Objektivität bemüht. Kein emotionsloser, distanzierter Bericht, sondern hoch emotionale Texte, Erfahrungsberichte, Weggeschichten. Ausdruck großer innerer Bewegungen.

"Christus", dieser Titel ist selber schon Ausdruck einer Beziehung, Ausdruck eines Vertrauens. Ausdruck von Zutrauen, von Glauben. Jesus von Nazareth, Sohn des Joseph. Das ist der historisch belegbare Teil. Dass er der Christus Gottes ist, der Messias, der Gesalbte, ist der Teil, den die Seele erkennt, wenn sie glaubt. Nehmen wir Maria. Als sie früh am Morgen des dritten Tages zum Grab läuft, um den Leichnam Jesu zu salben und ihn nicht finden kann. Auf dem Friedhof erkennt sie im Auferstandenen zuerst den Gärtner, dann sagt sie zu ihm "Mein Rabbi", bis sie dann den Anderen von dieser Begegnung erzählt: "Ich habe den Herrn gesehen – den Christus Jesus!" (Joh 20,11-18).

Unter Tränen wächst dieser Glaube, hin zu einer überwältigenden Erfahrung der Freude. Nicht absehbar vorher. Nicht berechenbar. Nicht machbar und schon gar nicht erwartbar. Reines Geschenk. Zutiefst verunsichernd und dann zutiefst befreiend.

Dafür steht der Sonntag Jubilate.

Für diese im Herzen gewachsene Erkenntnis, dass mir in diesem Jesus von Nazareth Gott begegnet und die Kraft hat, mich zu verwandeln. Eben nicht nur ein besonders sympathischer netter junger Mann, der den Menschen so zugetan war und so nette Dinge gesagt hat, sondern Gott selbst mit all seiner Macht und Kraft und seinem grenzenlosen Erbarmen.  

In der Runde am Mittwochabend sagte jemand, und das kann man wirklich mit Fug und Recht sagen, "Das ist doch das Spannende an dieser Geschichte. Ob er der Sohn Gottes war oder einfach nur ein besonders herausragender Mensch. Das ist doch die eigentliche Frage. Und wie man das wissen kann. Und dann glauben." Stimmt, würde ich sagen. Genau. Und unsere Theologie sagt genau das in der Lehre von den zwei Naturen. Dass Jesus wahrer Mensch ist und wahrer Gott.

Das ist eine Glaubensaussage. Das lässt sich nicht historisch belegen. Das lässt sich auch logisch nicht erklären. Was nun, fragen darum ja auch nicht wenige. Was nun? War er ein Mensch oder war er ein Gott? Unsere Theologie sagt: Beides in einem. Er ist wahrer Mensch und wahrer Gott. Und beides gehört zusammen. Das bleibt dem Verstand ein Widerspruch, der sich nicht auflösen lässt. Und wer da stehenbleibt, wer versucht, sich nur an eine dieser beiden Seiten zu halten und die andere darüber fallen lässt, der glaubt nicht mehr an den Christus Gottes, wie er in Jesu erschienen ist. In diesem Menschen Jesus von Nazareth ist Gott gegenwärtig, hier zeigt er sich und ist präsent. Mit all seiner Kraft, die bereit ist, ohnmächtig zu werden, um wirklich menschlich zu sein und der ganzen Verletzlichkeit seiner Liebe. Mit seiner nicht auszudenkenden Vergebung und seiner zu recht bringenden Gerechtigkeit, die unsere Maßstäbe außer Kraft setzt. In ihm ist Gott in unsere Welt wirklich hineingekommen. Nicht als Idee, sondern Fleisch und Blut geworden, nichts anderes heißt Inkarnation, Fleisch geworden. Gott hat die Farben unserer Welt angezogen und seine Möglichkeiten in unsere oft so engen Grenzen hineingewebt. Hat sich hineinbegeben in unsere menschlichen Gründe und Abgründe, hat den Himmel auf die Erde geholt, damit uns der Himmel nicht verschlossen bleibt, schon zu Lebzeiten. Schon jetzt. Hier. Heute. In diesem Jesus Gottes Christus. Das ist und das bleibt die zentrale Glaubensaussage und ein Weg, den man gehen muss, wenn man Glauben lernen will, Gottvertrauen. Das ist der Weg, den man gehen muss, wenn man Jesus seinen Gott glauben will, wenn man sich öffnen will für die Erfahrung, von der das Neue Testament voll ist: dass dieser Gott nicht totzukriegen ist, dass sein Kreuz und die Kreuze dieser Welt nicht das letzte Wort sind, das gesprochen ist, sondern eben seit dem ersten Ostern nur das vorletzte. Dass das auch für uns gilt. Dass dieser Christus Gottes auch uns zu Söhnen und Töchtern dieses Gottes gemacht hat und damit zu Geschwistern untereinander. Das kann man nicht wissen und nicht beweisen. Es bleibt eine dogmatische Richtigkeit bis wir anfangen, es auszuprobieren und zu belehnen, was die vielfältigen Schriften des Neuen Testaments uns sagen. Bis wir es ausprobieren mit dem Glauben sozusagen. Es bleibt ein steiler theologischer Satz - wie der von der Auferstehung der Toten - bis wir anfangen, uns die Geschichten über die Auferstehungserfahrungen in unserem Leben zu erzählen und daran Vertrauen zu fassen. Um es leben zu lernen, muss man einen Weg damit gehen. Wie die Jünger, die mit dem Menschen Jesus von Nazareth gelebt haben und mit ihm umhergezogen sind. Die sich diesem Wanderrabbi angeschlossen haben und – fasziniert von ihm und berührt durch sein Leben, das, was er sagte und was er tat - in eine eigene Geschichte mit diesem Jesus und seinem Vater im Himmel hineingeliebt worden sind. Die durch ihn und an ihm entlang sozusagen selber gelernt haben, wie lieben geht, was Vergebung heißt, wie Gott seine Welt will und was es dafür braucht, auch von uns. Sie sind uns doch gute Wegbereiter. Menschen wie wir. Menschlich, unvollkommen, wie wir. Und gleichzeitig – wie wir - begabt, berufen und beauftragt und vom Himmel begleitet dabei, Gottes Himmel auf die Erde zu holen. Uns als Kinder unseres Vaters im Himmel zu erweisen und deshalb leichtfüßig und mit beiden Füßen auf dem Boden die Geschichte Jesu weiterzuschreiben in unsere persönliche Geschichte hinein.

Nicht als Kopfgeburt, sondern mit Leib und Seele. Nicht einsam und allein, sondern miteinander, nicht nur für uns selbst, sondern auch für den Bruder, die Schwester neben mir. "Denn alles, was von Gott herkommt, überwindet die Welt", sagt der Verfasser des 1. Johannesbriefes und es klingt schon wieder ein bisschen steil. Dabei geht es nicht um heroischen Glauben, sondern um getrostes Vertrauen, das geübt sein will und an den Krisenerfahrungen eines Lebens groß wird oder zerbricht. Es bleibt ein Vertrauen, in das man hineinwachsen muss und für das man Menschen braucht, an denen man abgucken kann, wie es geht. Wie wieder aufstehen geht, nachdem man gefallen ist, vielleicht sogar tief. Wie man eine Kränkung überwinden kann und aus einer Verletzung gestärkt heraus gehen, ohne bitter zu werden. Wie verzeihen geht oder wie man es lernt. Dass es seine eigene Größe hat, um Verzeihung bitten zu können. Darum, neu anfangen zu dürfen, darum, Fehler machen zu dürfen. Darauf zu vertrauen, unterwegs nicht allein zu sein und am Ende nicht allein zu bleiben, sondern gehalten und heimgesucht zu werden von Gott in einer großen Liebesbeziehung. Frieden zu lernen und Menschenfreundlichkeit unterwegs. Uns darauf zu verlassen, dass Gott zurechtbringt, was zurechtgebracht werden muss unter uns und auch unsere begrenzten Möglichkeiten dazu nutzt. Und am Ende, mittendrin und immer wieder überraschend die Erfahrung zu machen, dass wir zu einer großen Freude bestimmt sind und Gott gehören, der uns nicht lässt. Immer mehr geliebt und begleitet als wir meist wissen, immer mehr gesegnet als wir glauben können und immer mehr ermutigt als wir uns vorstellen können. Deshalb Augen auf unterwegs und die Türen unserer Herzen weit. Damit wir die Geschenke nicht verpassen, die uns zugedacht sind und über den Lektionen unseres Lebens die Feste nicht versäumen.   

Davon sollten wir uns erzählen und damit den Erfahrungsberichten, den hoch emotionalen Texten und den Weggeschichten des neuen Testaments unsere Bekenntnisse hinzufügen und einstimmen in den Jubel dieses Sonntags.

Amen

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