Judica Fastenpredigtreihe: Mt 22,37

Judica Fastenpredigtreihe: Mt 22,37

Judica Fastenpredigtreihe: Mt 22,37

# Archiv Predigten 2016

Judica Fastenpredigtreihe: Mt 22,37

Liebe Gemeinde

auf die Frage der Pharisäer erklärt Jesus nach Matthäus als das erste und größte Gebot:

Du sollst den Herrn, deinen Gott lieben mit deinem ganzen Herzen, deiner ganzen Seele und deiner ganzen Vernunft.

Für mich ist hier das Stichwort „Vernunft“ von besonderer Bedeutung. Denn anders als zu Galileis Zeiten sind heute nicht die Naturwissenschaftler die Ketzer. Wer heute an Gott glaubt, steht unter einem Begründungszwang. Jedenfalls bei uns im Westen, im christlichen Abendland. Hier hat der ganz überwiegende Teil unserer Mitmenschen ein Weltbild, das nicht vom Schöpfergott, sondern von den Naturwissenschaften geprägt ist. Da ist die Vernunft gefragt.

„Lebenswege – Glaubenswege“ - In meinem Glaubensweg gibt es nichts Spektakuläres, keine besonderen Erlebnisse, keine Erleuchtungen, noch nicht einmal die Prägung durch einzelne Personen, ich hatte leider keine Oma Olga, von der Ulrike Drechsler uns vor 4 Wochen so zu Herzen gehend erzählt hat.

Ich habe mir meinen Kinderglauben erhalten. Das heißt, dass ich durchgehend von meiner Kindheit bis heute davon ausgehe, dass es einen Gott gibt, einen Schöpfer des Himmels und der Erde, der seine Schöpfung liebt, auch mich liebt und zu dem ich in Beziehung treten kann, der mir hilft, auch wenn das meistens nicht so geschieht, wie ich mir das gedacht habe.

Ich weiß nicht, wie sich dieser Kinderglaube gebildet hat. Die Erinnerung an meine Kindheit ist schwach ausgebildet. Es gibt nur wenige Positionen, an die ich mich gut erinnern kann.

Ich wurde unmittelbar vor Beginn des 2. Weltkriegs geboren. Mein Vater war von Anfang an  Soldat. Meine früheste Erinnerung ist, dass meine Mutter mit uns Kindern an jedem Abend nach dem zu Bett Gehen immer ein Gebet gesprochen hat, das damit endete, dass wir Gott darum baten, dass der Vater gesund wieder aus dem Krieg zurückkommen möge. Das ist geschehen.

Eine zweite Erinnerung betrifft eine mehr kuriose Begebenheit, als ich wahrscheinlich 4 Jahre alt war: Wir hatten damals ein Hausmädchen, das ich sehr mochte. Eines Tages hatte ich sehr viele Pflaumen gegessen und hinterher Wasser getrunken. Das Mädchen sagte mir daraufhin, warum- weiß ich nicht -, wer Pflaumen ißt und danach Wasser trinkt, muss sterben. Ich war zutiefst erschrocken, denn ich glaubte das natürlich. Ich ging ins Kinderzimmer weinte und betete zum lieben Gott, dass er mich nicht sterben lassen möge. Und er hat mich erhört.

Diese Erinnerung zeigt mir, dass ich schon damals – ich möchte sagen: eine geradezu selbstverständliche Beziehung zum lieben Gott hatte. Aber wie es dazu gekommen ist, weiß ich nicht.  Wir sind im Februar 1945 von Görlitz als Flüchtlinge nach Blankenese gekommen, wo Verwandte wohnten. Meine Eltern waren nicht gerade fromm und gingen allenfalls an den großen Feiertagen in die Kirche. Ich hatte auch keine besonders gläubigen Großeltern oder sonstige Verwandte.

Konfirmandenunterricht hatte ich bei Propst Hasselmann, der mich mit seiner starken Persönlichkeit  und seinem Gottvertrauen sicher beeindruckt hat.

Ich habe diesen Kinderglauben an den lieben Gott behalten, zu ihm in besonderen Situationen gebetet, meist wenn es schwierig war, aber zunehmend auch bei glücklichen Anlässen. Aber es war eigentlich ein ziemlich kahler Glaube, ohne viel drum herum. Jesus Christus hat für mich keine große Rolle gespielt. In die Kirche bin ich selten gegangen, eigentlich nur an den großen Festtagen.

Als ich meine Frau kennen lernte, stellten wir beide fest, dass wir auf Grund unserer Sozialisation an Gott glaubten und dass in diesem Punkt keine Differenzen bestanden. Wir haben in der neuen Nikolaikirche geheiratet ohne besondere Beziehung zum dortigen Pastor und der Gemeinde.

Das änderte sich erst, als wir 1967 in die Neubausiedlung Osdorfer Born zogen, wo wir unsere erste eigene Wohnung fanden. Wir fühlten uns mit anderen jungen Familien gewissermaßen als Pioniere dieser neuen Lebensform in einer entstehenden Großsiedlung auf der grünen Wiese.

Dazu gehörte auch die Gründung der evangelischen Kirchengemeinde Osdorfer Born. Es gab zwei junge Pastoren, die einen Kreis meist jüngerer Leute um sich scharten und versuchten, neue Wege zu gehen.

Nach den damaligen Verhältnissen hätten 5 Pastoren in der Gemeinde tätig sein sollen. Aber es gab absehbar vor Ort Probleme, für die Pastoren nicht ausgebildet sind: soziale Probleme und Probleme mit der Verwaltung dieser im Entstehen befindlichen großen Gemeinde.

So wurde beschlossen, ein sogenanntes Gruppenpfarramt zu bilden, zu dem außer drei Pastoren gleichberechtigt ein Sozialarbeiter und ein Manager für die Verwaltung gehören sollten. Nach intensiven Auseinandersetzungen mit der kirchlichen Bürokratie wurde das auch genehmigt, und ich wurde auf einer Halbtagsstelle knapp 2 Jahre der Verwalter.

Das war für die Entwicklung meines Glaubens insofern von Bedeutung, als wir jede Woche einen Vormittag lang eine Teambesprechung hatten, die mit einer mindestens einstündigen Bibelarbeit begann, was ich bis dahin nicht kannte. Hier habe ich sehr viel erfahren über moderne Theologie und das, was außer dem Glauben an Gott noch so alles zum christlichen und speziell zum evangelischen Glauben gehören kann.

Und ein zweites war wichtig: 1969 wurden meine Frau und ich erstmalig eingeladen zu einem Ost-West Gesprächskreis, der von Pastoren aus dem Westen und aus Ostberlin gegründet worden war. Der Kreis traf sich dreimal im Jahr für ein Wochenende in Ostberlin zur Bibelarbeit und allgemein zu Fragen des Glaubens in Ost und West.

Als wir 1972 nach Blankenese zogen, fanden wir hier eine völlig andere Gemeinde vor: kein Gruppenpfarramt, keine monatliche Gemeindeversammlung, Blankenese eben. Propst Tebbe, der mich vom Osdorfer Born kannte, verbrachte mich flugs in den Friedhofs-Ausschuss. Später war ich dann auch im Kirchenvorstand.

Ich erwähne diese Ämter nur, weil sie für mich bedeuteten, dass ich mich natürlich auch mit Glaubensfragen beschäftigen musste und beschäftigt habe, was  meinen Glauben geprägt  hat.

Dazu will ich im Folgenden einige Aussagen versuchen:

Das wichtigste ist die Frage nach Gott: ob überhaupt, wer, was, wie. Da die Physik heute die Metaphysik ersetzt hat,  beschäftige ich mich seit mehr als 2 Jahrzehnten mit den Erkenntnissen der Naturwissenschaften, vor allem mit Kosmologie und Astronomie, soweit mir das als einem Laien möglich ist. Denn für mich ist kein Glaube denkbar, der dem widerspricht, was hier als sichere Erkenntnis herausgefunden wurde. Ergebnis dieser Beschäftigung ist für mich weiterhin, was schon Immanuel Kant festgestellt hat, dass die Existenz Gottes weder widerlegt noch bewiesen werden kann.

Wichtig ist mir die Feststellung, dass diejenigen, die die Existenz Gottes verneinen, auch einen Glauben haben. Denn wissenschaftlich korrekt bewiesen sind von diesem Weltbild nur Teilbereiche, und bisweilen habe ich den Eindruck, dass alle neuen naturwissenschaftlichen Entdeckungen auch wieder vor allem neue Fragen aufwerfen.

Sie glauben, dass sich alles nach den Naturgesetzen und durch Zufall entwickelt habe: der Urknall und die Entwicklung des Weltalls bis zur Entstehung der Erde, das Leben, die Artenvielfalt, der Mensch, seine geistigen Schöpfungen, – alles physikalisch-chemische- biologische Entwicklungen, gesteuert durch Zufälligkeiten. Irgendwann wird der Mensch alles erforscht,  für alles eine naturwissenschaftlich belegbare Erklärung haben. Das ist ihr Glaube.

Ich habe mich anders entschieden: Ich glaube an Gott, den Schöpfer des Himmels und der Erden. Aber wer oder was ist dieser Gott? Die Frage kann ich nicht beantworten. Ich kann Gott nicht beschreiben, allenfalls umschreiben. Dabei hilft mir paradoxer Weise gerade das, was die Naturwissenschaft über die Schöpfung herausgefunden hat: die Unendlichkeit des Weltalls, das mit unseren Sinnen nicht fassbar ist, das Werden und Vergehen im Großen wie im ganz Kleinen, das Wunder unseres Heimatplaneten, was musste alles zusammenkommen, dass wir Menschen hier leben können, überhaupt: das Wunder des Lebens und seiner Ausdifferenzierung.

Dies alles führt mich zu dem vernünftigen Vertrauen, dass es einen Schöpfergott gibt, was eine Sache des Verstandes, des Willens und des Gemütes ist, wie Hans Küng Glauben beschreibt. Zugleich aber bekomme ich gerade auf Grund dieser naturwissenschaftlichen Erkenntnisse auch eine  Ahnung davon, wie unbegreiflich und unvorstellbar für uns Menschen Gottes Wirklichkeit ist. Selbst Mose hat Gott nicht von Angesicht zu Angesicht gesehen. Ich glaube an den heiligen Geist, kommt meiner Überzeugung am nächsten.

Aber wo ist Jesus Christus? Christus ist für mich der Mensch, der von Gott  befähigt worden ist, uns  von ihm zu erzählen und die Texte des Alten Testaments in besonderer Weise neu zu deuten.

Entscheidend ist für mich, dass er von Gott als unserem Vater sprach und lehrte, dass Gott die Menschen liebt, was in dieser Eindeutigkeit bis dahin von niemand anderem gepredigt worden war. Hinzu kommt das Gebot der Feindesliebe, dessen Bedeutung, ja sogar dessen Alternativlosigkeit wir eigentlich erst heute erkennen, wo wir in der Lage sind, unseren Erdball unbewohnbar zu machen.

Doch was ist mit der dunklen Seite Gottes? Viele Menschen sagen, dass man angesichts des unermesslichen Unglücks und Unrechts in der Welt nicht von einem Gott sprechen könnte, der seine Welt und die Menschen liebe. Stichwort: Auschwitz.

Ich kann mit dieser Argumentation überhaupt nichts anfangen.

Ursache für das Unglück in der Welt sind entweder wir Menschen oder die Natur. Beginnen wir mit uns Menschen.

Zu Gottes Liebe gehört, dass er uns in die Freiheit entlassen hat, damit wir selbst nach unseren eigenen Vorstellungen den Garten bestellen, den er uns anvertraut hat. Wo der Geist Gottes weht, da ist Freiheit, steht auf dem Grundstein unseres Gemeindehauses. Diese Freiheit gibt uns unsere Würde.

Gott zeigt uns mit seinen Geboten Wege, wie wir uns verhalten sollen. Aber wenn wir uns nicht an sie halten, zieht er uns nicht wie der Besitzer eines Hundes am Halsband zurück. Er hinderte  Kain nicht daran, seinen Bruder zu erschlagen.

Menschen haben die Konzentrationslager gebaut, Menschen betrügen und verraten, ermorden  einander, wie wir es tagtäglich erleben und seit Jahrtausenden kennen. Das beruht schlicht darauf, dass Menschen nicht den von Gott vorgeschlagenen Weg wählen.

Und die Natur? Wenn auf Grund von Bewegungen in der Erdkruste ein gewaltige Flutwelle entsteht, die auf das Land trifft und zu Zerstörung und Tod führt, wenn Epidemien ausbrechen, so sind das keine Strafen Gottes, sondern Folgen davon, dass die Welt so ist, wie sie ist. Wäre sie nicht so, gäbe es hier nicht das Leben, das wir leben dürfen.

Vielleicht hat Gott auch zum Tod ein völlig anderes Verhältnis hat als wir Menschen?  Ich weiß nicht, welches. Aber wären wir sicher, dass es ein Leben nach dem Tode gibt, wäre auch unser Verhältnis zum Tod ein anderes.

Doch woran zeigt sich Gottes Liebe zu den Menschen dann? Kommt von ihm vor allem keine Hilfe in der Not? Bonnhöfer sagt in seinem Glaubensbekenntnis:

Ich glaube, dass Gott auf aufrichtige Gebete und verantwortliche Taten wartet und antwortet. Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösestem, Gutes entstehen lassen kann. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen.

Dies entspricht meiner Überzeugung. Gott kommt nicht mit den Himmlischen Heerscharen und beseitigt alles, was wir für übel halten. Wer ihm vorhält, dass er das Unglück in der Welt nicht verhindere, verhält sich wie diejenigen, die Jesus am Kreuz zuriefen: Wenn du Gottes Sohn bist, warum hilft er Dir dann nicht, warum steigst Du nicht einfach herab?

Gottes Hilfe sieht anders aus. Er gibt uns Widerstandskraft. Er schenkt uns Ideen, Fantasie, eine neue Sicht der Verhältnisse, ändert unsere Blickrichtung, er führt uns mit anderen, mit Gleichgesinnten zusammen, eröffnet neue Wege.

Das alles sage ich vor allem auch aus der Erfahrung meines Lebens, aus einer Vielzahl großer und kleiner Erlebnisse. Es ist für mich wahr, dass mir Gott in ungezählten Fällen in schwierigen Situationen neue Wege eröffnet hat. Da habe ich mich nicht selbst wie weiland der Baron v.Münchhausen am eigenen Schopf aus dem Sumpf gezogen, sondern da kam Hilfe von außen. Ich jedenfalls sehe das so.

Auch der Leichtmatrose Kim Malthe Bruun, von dem Stefanie Hempel Aschermittwoch berichtet hat, wird ähnliche Erfahrungen gemacht haben und viele von Ihnen hier auch.

Ich empfinde meinen Kinderglauben als eine besondere Gnade Gottes. Sie veranlasst mich, den Acker zu bestellen, den er mir zugeteilt hat, d.h. dass ich meine Möglichkeiten und meine Kraft nutze nicht nur für mich, sondern möglichst auch für meinen Nächsten. Dass mir das häufig nicht gelingt, weiß ich wohl.

Da hilft mir das Schlusswort:

Der Friede Gottes, welche höher ist als all unsere Vernunft,

bewahre eure Herzen und Sinne in Christo Jesu.

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