4. Sonntag nach Trinitatis - Römer 12, 17-21

4. Sonntag nach Trinitatis - Römer 12, 17-21

4. Sonntag nach Trinitatis - Römer 12, 17-21

# Archiv Predigten 2015

4. Sonntag nach Trinitatis - Römer 12, 17-21

Gnade sei mit Euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen.

Liebe Gemeinde, im Moment läuft im Kino ein spannender Film mit dem Titel : Beyond punishment, jenseits von Strafe oder besser : über Strafe hinaus. Ich habe bisher nur Rezensionen gelesen und den Trailer anschauen können, aber das Thema finde ich hoch spannend und hoch brisant. Der Film bewegt die Frage nach Schuld und den Möglichkeiten und dem Sinn von Strafe. Von der Notwendigkeit der Strafe und gleichzeitig der Unmöglichkeit, damit irgendetwas wieder gut  machen zu können, erzählt er.  Und so werden Schicksale vorgestellt, von Menschen, die in eine Mordgeschichte verwickelt sind. Drei völlig verschiedene Geschichten, verschiedene Motive, verschiedene Hintergründe. Jeweils beleuchtet aus der Perspektive der Täter und aus der der Opfer. In diesem Fall der Angehörigen, die ihr Leben lang Opfer dieser Tat bleiben. Er bewegt, ob punishment, Strafe also, hinreicht. Und zumindest diese Frage beantwortet er, glaube ich, schon im Titel. Es reicht nicht hin. Es muss um etwas gehen, das beyond punishment ist, um etwas, das jenseits der Strafe liegt. Weil die notwendig ist, aber nicht heilen kann. Weil es zwar wichtig ist, dass Menschen für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen werden, dass das aber nicht zwangsläufig heißt, dass diejenigen, die mit dem gewaltsamen Tod eines geliebten Menschen leben müssen, auch nur einen Deut besser damit leben können, nur weil eine hohe Strafe verhängt und durchgezogen wird. Vielleicht erinnern Sie Marianne Bachmann, die im Gerichtssaal den Mörder ihrer Tochter erschossen hat, die die Rache, die  vermeintlich „gerechte“ Strafe selber in die Hand genommen hat. Oder vielleicht aneden aufgebrachten Mob, der sich in Norddeutschland vor dem Haus eines zunächst der Vergewaltigung und des Mordes an einem Mädchen verdächtigten jungen Mannes aufbaute. Wie sich später herausstellte, hatte er damit gar nichts zu tun. Hätte die Polizei das Haus nicht geschützt, hätte es vielleicht einen zweiten Mord gegeben.

„Vergelte niemand Böses mit Bösem, sagt Paulus in unserem Predigttext für heute aus dem Römerbrief im 12. Kapitel. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. Ist´s möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden. Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes. Denn es steht geschrieben: „Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.“ Vielmehr, „wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet ihn, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln. „ Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“

Leicht gesagt, oder ?! Wenn es mehr als ein Kalenderspruch sein soll. Wenn es um wirklich Böses geht, nicht nur um Puppensünden, wie Luther einmal ironisch bemerkte. Wenn die Seele nichts als Rache will, ausgleichende Gerechtigkeit. Wie du mir, so ich dir.

Als Nelson Mandela nach über 25 Jahren aus dem Gefängnis auf Robben Island entlassen wurde, da haben nicht wenige Menschen damit gerechnet, dass es Bürgerkrieg geben würde in Südafrika. Nicht wenige Weiße, die die Apartheid Zeit ihres Lebens privilegiert hatte und den Schwarzen unsägliches Leid angetan hatte, hatten Angst um ihr Leben. Angst vor der Rache der Schwarzen. Angst davor, dass sie jetzt den Preis würden bezahlen müssen für die Ausbeutung und die Unterdrückung, für das erlittene Unrecht und die Verweigerung von Lebensperspektiven Schwarzer. Und es ist Nelson Mandela gewesen, der ihnen und seinem Land, auch den Schwarzen, eine beeindruckende Lektion mit seinem eigenen Leben erteilt hat darüber, dass Rache keine Möglichkeit ist, die zum Frieden führt, in keiner Weise, für niemanden. Er selbst, der auf alles Verständnis hätte zählen können für Gefühle der Rache und den Wunsch der Vergeltung nach diesen Jahren der Haft unter unwürdigen und erbärmlichen Bedingungen, ohne rechtmäßiges Verfahren, so lange isoliert von allen, die ihm am Herzen lagen, so seiner Lebensmöglichkeiten beraubt, er selbst wurde zum Vorbild für einen anderen Weg und eine andere Option. Die Versöhnung heißt. Als er –unvorstellbar eigentlich angesichts seiner Lebensgeschichte, angesichts der Geschichte der Apartheid in Südafrika- der erste schwarze Präsident seines Landes wurde, da hat von Anfang an, genau darauf gesetzt. Darauf, nicht Böses mit Bösem zu vergelten. Die Rache nicht selbst in die Hand zu nehmen. Das bessere Beispiel zu geben.  Das Böse zu überwinden. Im anderen, vor allem in sich selbst. Er hat einmal sinngemäß gesagt :“Es ist schwer, einen anderen Menschen zu verändern. Das ist nichts im Vergleich dazu, sich selbst zu verändern.“ Es war eben nicht leichtfertig dahingesagt. Seine Vision für Südafrika ging weit über ihn und sein persönliches Schicksal hinaus. Er hatte mehr im Blick als persönliche Rache, er wollte eine wirkliche Veränderung seines Landes, der Menschen, eine Veränderung ihres Bewusstseins. Wie sie auch bei ihm vonstatten gegangen war in den langen Jahren auf Robben Island. Er war nicht mehr der Mann als der er eingesperrt worden war. In keiner Weise. Diese Jahre haben an ihm gearbeitet. Ohne ihn zu zerbrechen, ohne ihn bitter zu machen. Als er entlassen wurde, da war er kein gebrochener Mann, sondern ein Visionär mit einer  Botschaft, die er gelebt hat. „ÜBERWINDE DAS BÖSE MIT GUTEM“. Als er Präsident wurde, hat er mit vielen weisen Schritten darauf bestanden, nicht Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Er hat nicht- was viele erwartet und viele Schwarze sich gewünscht haben- dafür gesorgt, dass alle Anhänger der Apartheid und der letzten weißen Regierung aus allen Ämtern entfernt und durch Schwarze ersetzt wurden. Er hat -im Gegenteil- alle Menschen guten Willens eingeladen, sich an seiner Vision eines neuen Südafrika, seiner Regenbogennation – zusammengesetzt aus so vielen verschiedenen Hautfarben wie der Regenbogen sie beherbergt- zu beteiligen. Er hat nicht nach der Vergangenheit gefragt, sondern nach der Kraft und dem Willen für die Zukunft. Und er hat ihnen Zeit gegeben und gelassen, weil er wusste, das geht nicht über Nacht. Wirkliche Veränderung, Transformation braucht Zeit und gute Wegweiser. Menschen, an denen man ablesen kann, wie das geht. Menschen, die tun, was sie sagen und einstehen für das, was sie als wahr erkannt haben. Er wurde viel gescholten dafür –von Schwarzen und Weißen- die auf beiden Seiten nicht glauben konnten und wollten, dass es überhaupt möglich ist, nach allem, was gewesen war, in Frieden und gleichberechtigt miteinander zu leben. Das war für ihn keine Frage. Keine Frage des ob, nur eine pragmatische Frage des wie. Eine, die er mit Fingerspitzengefühl, mit Humor und Disziplin, mit Menschenfreundlichkeit und Weitsicht angegangen ist. Er hat sich zur Aufgabe gemacht, was Paulus hier anmahnt:

„Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. Ist´s möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden. Und weiter : „wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet ihn, gib ihm zu trinken.“

In den autobiographischen Notizen seiner persönlichen Assistentin –Zelda la Grange, -m weiß, früher überzeugte Anhängerin der Apartheitsregierung und ihrer Überzeugungen- ist das schön beschrieben, der ganze Prozess einer inneren Veränderung, eine lange vertrauensbildende Maßnahme. Man kann die Irritation, das ungläubige Staunen wahrnehmen, wenn sie erzählt, mit welcher inneren Überzeugung und Haltung er mit Menschen umgegangen ist, eben auch mit ihr, aber darüber hinaus mit jedem, der ihm begegnet ist. Egal wie alt, egal welcher Hautfarbe, egal, welcher Gesinnung, egal, welcher Herkunft, egal, welche Vergangenheit. Sein Gegenüber hat er aufmerksam und respektvoll behandelt, mit ausgesuchter Höflichkeit. „Es ist eine Entscheidung“ und nichts für Feiglinge, hat er ihr irgendwann anvertraut, es ist ein inneres Commitment. Kein Gefühl, es hat überhaupt nichts Gefühlsduseliges. Es ist eine Entscheidung für diesen Weg zum Frieden. Es ist eine klare Entscheidung gegen den Weg der Vergeltung, der uns nur in noch mehr Leid stürzen würde. Da liegt kein Segen drauf. Wie kein Segen auf der Strafe liegt. Die notwendig ist, aber nicht heilen kann. Die wir einerseits brauchen, die aber kein Opfer aus dem zwanghaften Bindung an die Tat befreien und von ihr heilen kann. Südafrika hat mit der Wahrheitsfindungskommission einen anderen Weg versucht, vielleicht auch, weil die Opfer zu zahlreich und die Mittel der Justiz angesichts des Ausmaßes an Unrecht und Leid, das es zu beklagen gibt, überfordert ist. Südafrika hat den schweren Weg versucht, Begegnung zu ermöglichen über erlittenem Leid. Desmond Tutu war federführend darin- hat versucht, den Opfern ihre Würde wieder zu geben, sie erzählen zu lassen, ihnen zuzuhören, ihr Leid zu sehen und es anzuerkennen – im Angesicht der Täter und unter Zeugen. Und hat –im Gegenzug- dafür von den Tätern verlangt, Geständnisse abzulegen und vor den Opfern zuzugeben, was sie bisher abgestritten, aber dennoch getan hatten. Straferlass gegen Wahrheit, um es auf eine sehr einfache Formel zu bringen; einfach war dieser Weg gerade nicht. Es war die Entscheidung für einen anderen Weg, einen jenseits von Rache und Vergeltung. Raum für Gott. Keine schnellen Antworten, zum Glück nicht; denn schnelle Antworten kann es nicht geben, wenn es um solches Leid geht und um die Verwüstungen, die es hinterlassen hat. Die Parents circles, das gleiche Anliegen, die gleiche Einsicht. Es ist genug mit dem Leid. Gewalt gebiert nur neue Gewalt. Und : kein anderen zugefügtes neues Leid lindert das eigene. Aufhören ! Ein anderes Zeichen setzen! Einen anderen Weg einschlagen. Aber auch der Weg zum Frieden ist kein leichter und vor allem kein schneller. Er verlangt unsere Entscheidung, die Disziplin und das Dranbleiben und die innere Arbeit. In dem Wissen, dass er alternativlos ist, wenn das Hassen aufhören soll. In dem gewagten Vertrauen, dass Gott alleine es ist, der zurechtbringen kann und heilen, uns, die Opfer und auch die Täter.

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