02/07/2024 0 Kommentare
Quasimodogeniti: Jesaja 40, 26-31
Quasimodogeniti: Jesaja 40, 26-31
# Archiv Predigten 2015
Quasimodogeniti: Jesaja 40, 26-31
Am 27. Juli 1945 wurde in der Holy Trinity Church in London ein Gedenkgottesdienst für Dietrich Bonhoeffer gehalten und von der BBC übertragen. Bonhoeffers Eltern, die nur wenige Tage vorher erfahren hatten, dass neben ihrem Sohn Klaus auch sein jüngerer Bruder Dietrich ermordet worden war. hörten diesen Gottesdienst am Radio. Bischof Bell, Freund Bonhoeffers, sagte in seiner Predigt:
„Sein Tod ist ein Tod für Deutschland, ja für Europa. Er bedeutet, wie sein Leben, etwas unendlich Wertvolles für die Bekennende Kirche. Als einer aus der Gemeinschaft der Märtyrer repräsentiert er beides: den Widerstand, den die glaubende Seele im Namen Gottes allen Angriffen des Bösen entgegensetzt, und den moralischen und politischen Aufstand des menschlichen Gewissens gegen Unrecht und Gewalt. Wie seine Mitstreiter war er «auferbaut auf dem Fundament der Apostel und Propheten». Es war der leidenschaftliche Einsatz für Gerechtigkeit, der ihn und viele andere Christen mit Menschen zusammengeführt hat, die, ohne Glieder der christlichen Kirche zu sein, für die gleichen humanitären und freiheitlichen Ideale eingetreten sind. Auf ihn und seinen Bruder Klaus wartet die Auferstehung der Toten“ (F. Schlingensiepen, Dietrich Bonhoeffer 1906 – 1945. Eine Biographie, München 2006, 392).
Liebe Gemeinde!
man darf Bonhoeffer sicher nicht einfach idealisieren, zum Helden machen. Man darf ihn nicht vereinnahmen und ihn mit seinen Zitaten für die eigene Sache einspannen – und ich hoffe, dass dieser Eindruck heute nicht entsteht. Aber man darf trauern um ihn, auch 70 Jahre nach seinem Tod, und von ihm lernen, glauben lernen. Und ich glaube, man darf ihn einer Gemeinde als Vorbild im Glauben vorstellen. Ich habe es in der letzten Woche bei meinen Konfirmanden gemacht; wir werden es morgen tun, wenn im Kino der Film über Bonhoeffer läuft.
Ich habe keinerlei Hinweise darauf finden können, dass Bonhoeffer sich mit dem heutigen Predigttext beschäftigt hat. Wenn ich Jesaja heute mit Zitaten Bonhoeffers verbinde, so nicht, um Bonhoeffer biblisch zu überhöhen – das hat er nicht nötig, und steht mir nicht zu.
Ich tue es, weil Bonhoeffer unsere Welt, unsere Wirklichkeit getragen und durchdrungen sah von Gottes Wirklichkeit. Er war ein Lernender im Glauben, er ließ sich verwandeln, verändern durch das, was er im Glauben wie ein Jünger hörte, was er erkannte von Gott, was er als „Wort Gottes“ wahrnahm in seiner Bibel. Und er konnte das nicht trennen von dem, was er erlebte und erlitt; er musste es in seine Umgebung hinein, in die Gesellschaft hinein zu tragen versuchen. Theologie zu treiben war keine Sache für den Elfenbeinturm, sie hatte eine Aufgabe, die Aufgabe, Gottes Wirklichkeit deutlich und sichtbar zu machen, und so die Gesellschaft im Sinne Gottes zu verändern und zu verwandeln.
Hören wir, was Jesaja seiner Gemeinde schrieb und was er heute zu uns sagen will: „Hebt eure Augen in die Höhe und seht! Wer hat dies geschaffen? Er führt ihr – der Sterne - Heer vollzählig heraus und ruft sie alle mit Namen; seine Macht und starke Kraft ist so groß, dass nicht eins von ihnen fehlt. Warum sprichst du denn, Jakob, und du, Israel, sagst: »Mein Weg ist dem HERRN verborgen, und mein Recht geht vor meinem Gott vorüber«?
Weißt du nicht? Hast du nicht gehört? Der HERR, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt, sein Verstand ist unausforschlich. Er gibt dem Müden Kraft, und Stärke genug dem Unvermögenden. Männer werden müde und matt, und Jünglinge straucheln und fallen; aber die auf den HERRN harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.“
Gottes Größe steht ganz im Dienst des Kleinen, seine Stärke im Dienst des Schwachen, seine Macht im Dienst des Unvermögenden.
Gott hat sich eingelassen auf diese Welt, und nun darf ein Mensch ihn nicht einfach auslassen in seinem Alltag, in seinem Denken und Fühlen und Handeln.
Bin ich wieder bei Bonhoeffer, dann hatte er, sicher auch mit Jesaja, lernend begriffen, dass Glaube auch Handeln ist. Gott ist nicht in dieser Welt, umgibt sie nicht mit seiner Liebe, richtet seine Menschen nicht auf, damit nichts geschieht und die Welt ihren Lauf nimmt.
Seit Anbeginn der Schöpfung, so fängt doch unsere Bibel an, haben wir Menschen den Auftrag, diese Welt im Sinne Gottes zu gestalten. Und so ist Handeln Gehorsam und als ein solcher Gehorsam nichts Zusätzliches, nichts Nachrangiges, nicht der zweite Schritt, sondern Handeln ist der Schritt des Glaubens. So wie Liebe sich mitteilen will, sonst wäre sie keine Liebe, so will Glaube gehen, handeln, tätig werden, sonst wäre es kein Glaube.
Als Lutheraner haben wir es besonders gut gelernt, Glaube und Handeln theologisch aufzuteilen, damit Rechtfertigung allein aus Glauben und nicht aus Werken das Ergebnis sei. Und keiner will dahinter zurück. Nur soll der Glaube ja vor allem einen Menschen tragen, ihm Halt geben. Er soll den Menschen zu sich selbst bringen, zu wahrer Menschlichkeit. Wie könnte er das aber als intellektueller Spaltpilz? Wie soll Glaube einen Menschen formen, zum Ebenbild Gottes gestalten, wenn er den Menschen nicht als ganzen betrifft - in seinem Denken und Fühlen, seinem Tun und Lassen?
Immer wieder entdecke ich, wie unser Glaube sich selbst gegen Verabsolutierung absichert, indem er auf Kräfte setzt, die sich zurücknehmen, die schwach sind und doch die schönsten Früchte bringen. Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit - Kraft, Liebe und Besonnenheit - Glaube, Liebe, Hoffnung. Diese großen Worte, die sich so wichtig aussprechen lassen und denen ich doch so selten Recht gebe.
Immer wieder sehe ich mich vom Glauben herausgerufen, auf diese Kräfte oder Früchte zu setzen und nicht auf Richtigkeiten. Jeder Glaube ist ein Gefäß, aber darin ist eine Liebe, die groß träumt vom Menschen und die Welt schön sieht und die Grenzen hinter sich lässt. „Ich glaube an die Universalität der Brüderlichkeit" schreibt Bonhoeffer noch 1945 an den englischen Bischoff George Bell. Wenn Glaube nicht über seine eigenen Grenzen hinausstrebt, wenn er nicht Geschwisterlichkeit und Herzlichkeit will, sollte es dann der Glaube Jesu sein?
Natürlich kann ich mich irren und vertun mit dieser „Universalität der Brüderlichkeit“. Ich arbeite mit den falschen Leuten zusammen, ich werde missbraucht in meinem Glauben an die Menschen, ich verrenne mich selbst in Aktionismus oder Selbstgerechtigkeit. Man kann als Glaubender nicht so tun, als wäre die weiße Weste das moralische Gewand. Bonhoeffer schreibt: „… aus lauter Angst vor Irrtum überhaupt nicht zum Handeln zu kommen und zur Stellungnahme, ...scheint mir fast gegen die Liebe zu gehen. Verzögerte oder verpasste Entscheidungen können sündiger sein als falsche Entscheidungen, die aus dem Glauben und aus der Liebe kommen“ (Brief an H.L Henriod, 07.04.1934).
„Weißt du nicht? Hast du nicht gehört? Der HERR, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt, sein Verstand ist unausforschlich. Er gibt dem Müden Kraft, und Stärke genug dem Unvermögenden.“
Es hört nicht, wer sich einrichtet in seiner Müdigkeit, wer seine Resignation pflegt. Es hört nicht, wer Lethargie als fromme Weltflucht tarnt. Es weiß nicht, wer sich umkreist sieht von einer bösen Welt, gegen die nichts mehr zu machen ist. Es weiß nicht, wer die eigenen schlechten Erfahrungen zum Maßstab seines Glaubens macht.
„Du, Jakob, du, Israel – du bist von Gott gemeint als einzigartiger unverwechselbarer Mensch und als Gemeinde Gottes; Dir gelten alle Verheißungen, denn Gott ist da, hier und jetzt, immer und ewig. Seine Fürsorge, sein Dasein gilt Dir in Deiner Müdigkeit und Schwäche, gilt Dir für Deinen Lebensweg vom ersten Atemzug an. Weißt Du das nicht? Hast Du das nicht gehört? Die auf den HERRN harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.“
Von dieser stets neuen Kraft wusste Bonhoeffer und nannte sie Optimismus:
Lesung: „Optimismus ist in seinem Wesen keine Ansicht über die gegenwärtige Situation, sondern er ist eine Lebenskraft, eine Kraft der Hoffnung, wo andere resignieren, eine Kraft, den Kopf hochzuhalten, wenn alles fehlzuschlagen scheint, eine Kraft, Rückschläge zu ertragen, eine Kraft, die die Zukunft niemals dem Gegner überlässt, sondern sie für sich in Anspruch nimmt. Es gibt gewiß auch einen dummen, feigen Optimismus, der verpönt werden muss. Aber den Optimismus als Willen zur Zukunft soll niemand verächtlich machen, auch wenn er hundertmal irrt; er ist die Gesundheit des Lebens, die der Kranke nicht anstecken soll. Es gibt Menschen, die es für unernst, Christen, die es für unfromm halten, auf eine bessere irdische Zukunft zu hoffen und sich auf sie vorzubereiten. Sie glauben an das Chaos, die Unordnung, die Katastrophe als den Sinn des gegenwärtigen Geschehens und entziehen sich in Resignation oder frommer Weltflucht der Verantwortung für das Weiterleben, für den neuen Aufbau, für die kommenden Geschlechter. Mag sein, daß der jüngste Tag morgen anbricht, dann wollen wir gern die Arbeit für eine bessere Zukunft aus der Hand legen, vorher aber nicht.“
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